Stadt der Fremden
Lehrern begleitet wurden, von Sicherheitspersonal und von zwei erwachsenen Botschaftern, einem Mann und einer Frau, die ich aus dieser Entfernung nicht identifizieren konnte. Die Verbindungselemente der Auszubildenden blinzelten hektisch.
»Was machen sie?«, fragte Scile.
»Schatzsuche. Unterricht. Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Sie werden in ihrem Reich herumgeführt.« Zu meiner gelinden Beschämung und zum Vergnügen anderer Speisender stand Scile auf und sah zu, wie die Gruppe weiterging, wobei er weiterhin auf dem festen Botschaftsstadt-Toast kaute, von dem er behauptete, dass er ihn liebte (und der für mich inzwischen zu asketisch war).
»Sieht man so etwas oft?«
»Eigentlich nicht«, erwiderte ich. Die wenigen Male, da ich solche Gruppen gesehen hatte, war ich selbst noch ein Kind gewesen. Wenn es sich im Beisein meiner Freunde ereignete, versuchten wir, die Aufmerksamkeit des einen oder anderen Noch-nicht-Botschafters auf uns zu lenken. Wenn wir damit Erfolg hatten, kicherten wir und rannten fort, egal ob wir von ihren Begleitern verfolgt wurden oder nicht. Für ein paar großtuerische Minuten spielten wir spöttischeund irgendwie aufgeregte Spiele in ihrem Kielwasser. Jetzt lenkte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf mein Frühstück und wartete darauf, dass sich Scile wieder hinsetzte.
Als er dies schließlich tat, fragte er: »Wie denkst du über Kinder?«
Ich blickte in die Richtung, welche die jungen Doppel eingeschlagen hatten. »Interessante Gedankenkette«, meinte ich. »Hier würde es nicht so sein wie …« In dem Land, in dem er geboren worden war, auf dem Planeten, auf dem er geboren worden war, wurden Kinder zumeist von zwei bis sechs Erwachsenen großgezogen, mit denen sie, genau wie untereinander, durch direkte genetische Beziehungen verbunden waren. Scile hatte seinen Vater, seine Mutter, seine Tantenväter – oder wie auch immer er sie nannte – mehr als einmal und mit Zuneigung erwähnt. Es war lange her, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte: Solche Bande werden im Außen meistens schwächer.
»Ich weiß«, sagte er. »Ich wollte nur …« Er winkte unserer Stadt zu. »Es ist nett hier.«
»Nett?«
»Der Ort hat irgendwas.«
»›Irgendwas.‹ Ich weiß, dass Wörter dein Geschäft sind. Wir werden einfach so tun, als hätte ich dich nicht gehört. Warum sollte ich diesem kleinen Ort …«
»Ach, hör einfach auf damit.« Er lächelte mit nur einem leichten Kratzen in seiner Stimme. »Du bist hier herausgekommen, ja, ich weiß. Aber dich stört dieser Ort nicht halb so viel, wie du vorgibst, Avice. So sehr magst du mich auch nicht, dass du hierherkommen würdest, wenn es eine Hölle für dich wäre.« Wieder lächelte er. »Warum würde es dir überhaupt etwas ausmachen?«
»Du vergisst etwas. Dies ist nicht das Außen. In Bremen halten sie das meiste, was wir hier tun – abgesehen von den Bio-Fabrikaten und davon, was wir der Güte von ›Du weißt schon wem‹ entlocken können –, für brutale Feldmedizin. Und das schließt Sextechniken mit ein. Erinnerst du dich daran, wie Kinder gemacht werden? Und du und ich, wir kommen auf diesem Gebiet nicht wirklich gut …«
Er lachte. »Punkt für dich«, sagte er und nahm meine Hand. »Überall kompatibel, außer zwischen Bettlaken.«
»Wer hat gesagt, dass ich es zwischen Bettlaken machen will?«, erwiderte ich. Es war ein Scherz, kein Verführungsversuch.
Es fühlt sich alles wie ein Vorspiel an, wenn ich jetzt darüber nachdenke. Das erste Mal, als ich außerirdische Spezies sah, mit denen ich nicht aufgewachsen war, befand ich mich in einer rauflustigen Stadt auf einem winzigen Planeten, den wir Sebzi nannten. Ich wurde einer Gruppe von Hive-Wesen vorgestellt. Ich habe keine Ahnung, was sie waren oder von wo ihre Rasse abstammte. Seither habe ich keinen von ihrer Art gesehen. Einer trat auf seinem Scheinfüßchen nach vorn, neigte seinen Stundenglas-Körper mir entgegen und sagte aus einer winzigen, mit Stummelzähnen versehenen Höhlung in perfektem Englisch-Ubiq: »Miss Cho. Es ist mir ein Vergnügen.«
Ohne Zweifel reagierte Scile auf Kedis, Shur’asi und Pannegetch mit mehr Gelassenheit, als ich es damals tat. Im Osten von Botschaftsstadt führte er Gespräche über seine Arbeit und seine Reisen. (Ich war davon beeindruckt, wie gut er es verstand, die Wahrheit zu erzählen und zugleich sein Leben in sich schlüssig, wie eine präzise Kurve, erscheinen zu lassen.) Anschließend näherte sich ihm eine
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