Stadt der Fremden
ich ein seltsames, unangenehmes Ritual durch, in den verfallenden Mauern eines Gebäudes, das einmal ein Restaurant gewesen war. Dafür wurde ich, wie mir Botschafter und Personalangehörige gelegentlich erzählt hatten, von den Ariekei in meiner Abwesenheit gefeiert. Das hatte nichts bedeutet bis zu dem Augenblick während des Fests in der Halle, nach dem Lügen, als die Gastgeber entdeckten, wer ich war.
Sie sprachen schnell und reckten ihre Augen-Korallen. Sie sprachen mich jeden Tag, erzählte Scile mir danach. Das war es, was sie zu CalVin sagten. Ich weiß nicht , sagte einer der Gastgeber über mich, was ich ohne sie täte, wie ich dächte, was ich denken muss .
Sie? Dies war die Frage, die wir als das Geheimnis der Zählung bezeichneten: Betrachteten die Gastgeber jeden Botschafter als einePerson mit einem Bewusstsein und doppeltem Körper? Und wenn dem so war, hielten sie den Rest von uns dann für Halbwesen, Belanglosigkeiten oder Maschinen? Eine Stadt voll von Marionetten der Botschafter? Als sie mich als Simile erkannten, baten sie mich zurückzukommen, doch ich war mir nie sicher, ob ich ein Gast, Ausstellungsobjekt oder etwas anderes war. Als wir gingen, gaben die Gastgeber auf uns Acht – ob sie nun verstanden, dass wir Personen waren, oder nicht.
Ich nahm ihre Einladungen an, weil Scile stets mit mir kommen konnte. Ein Geschenk für ihn, wegen dem er überschwänglich dankbar war, obschon ich glaube, dass er nach den Geschehnissen mehr als ich reden und alles nachbesprechen wollte. Wir wurden zu den Sälen der Gastgeber geführt. Für gewöhnlich gab es dort auch Botschafter, Wesire und andere, und diese flüchtigen Blicke auf Geheimnisse, die schon mein ganzes Leben über im Hintergrund abgelaufen waren, das Hin und Her von Botschaftspersonal in der Gastgeberstadt, waren fast genauso irritierend für mich wie alles andere, das sich ereignete. Ich entdeckte immer wieder Botschafter, die durch Fleischkorridore spazierten und sich dabei mit Ariekei unterhielten, an Orten, von denen ich mir nicht vorstellen konnte, dass irgendein Mensch sie zweckhaft finden würde.
Diese Veranstaltungen, zu denen meine Freunde keinen Zutritt hatten, waren ein besonderer Kitzel für die meisten von ihnen. »Ein Fest? Der Lügen?«, entfuhr es Gharda auf einer Party nach jenem ersten Fest der Lügen. »Und die Gastgeber haben um dich gebeten?« Sie hatten sich alle um mich versammelt und verlangten zu wissen, wie die Gastgeberstadt war, und ich lachte, weil jemand schrie: »Das ist wichtig!«, so wie wir ausgerufen hatten, als wir Kinder gewesen waren.
Meine gelegentliche Anwesenheit in der Gastgeberstadt war für die Botschafter beunruhigend, wie ich erkennen konnte. Sie mochten es nicht, mich dort zu sehen. Dies war ihr Geheimnis. Nach jedem dieser Ausflüge führten Personalangehörige eine ausgiebige Nachbesprechung mit mir durch. Sie fragten mich, was ich gesehen und was ich verstanden hatte.
Beim zweiten Mal, als ich die Gastgeberstadt betrat – ich war in einem anderen Saal mit einer Menge von Gastgebern –, wurde ich in der Nähe einer Ansammlung von obskuren Objekten und betäubten ariekenischen Tieren zurückgelassen. Bei mir waren noch vier Menschen; enzymatische Lichter bogen sich in den Rundungen ihrer Äoli-Helme. Zwei von ihnen waren Botschafterin LeNa, die mich nicht beachteten. Bei den beiden anderen handelte es sich um junge Männer, gewöhnliche Bürger wie ich.
»Hallo«, sagte einer von ihnen und lächelte begeistert. Ich allerdings erwiderte das Lächeln nicht. »Ich bin Hasser: Ich bin ein Beispiel. Davyn ist ein Oberbegriff. Du bist Avice, nicht wahr? Du bist ein Simile.«
Weder bei diesem noch bei irgendeinem anderen Mal in der Gastgeberstadt gab es eine Veranstaltung, die der ersten Zusammenkunft glich, der ich beigewohnt hatte. Diese Gelegenheiten waren chaotischer, wie ich erfuhr, und weniger fokussiert. Eine Zeit lang waren unter den Gastgebern Zusammenkünfte in Mode, die man mehr oder minder als Treffen von Enthusiasten bezeichnen konnte. Feierlichkeiten der Sprache, aber viel allgemeiner und nicht nur den seltenen Lügen gewidmet. Man sammelte an einem Ort so viele der aus sprachbedingter Notwendigkeit konstruierten Tatsachen, wie man nur konnte, so viele eingesprachte Elemente wie möglich, ob lebendig oder unbelebt, empfindungsfähig oder nicht. Dann kamen die Ariekei zusammen und betrachteten uns, verwendeten uns oder theoretisierten über uns, ohne dass dabei irgendeine
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