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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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abschließende und allgemeingültige Erkenntnis angestrebt war. Wir saßen höflich inmitten der geschnauften, gestammelten und gesungenen Argumente über uns und um uns herum. Ich fand es weniger fesselnd als das hingebungsvolle Lügen, das ich zuerst gesehen hatte.
    Ich ließ mich einlullen vom Grölen und Flüstern der Schnitt- und Drehungsmünder, während Scile zu übersetzen versuchte. Gastgeber stampften vor und zurück, es bildeten sich Lager mit unterschiedlichen Meinungen. Etwas Ähnliches wie ein Wortgefecht, wie ich annahm, entwickelte sich zwischen denen, die mich für eine nützliche Redefigur hielten, und denen mit entgegengesetzter Ansicht.
    Es war ein verkrüppeltes, seltsames Streitgespräch, wie ich glaube. Es gab jene Gastgeber, die meinten, etwas Besseres hätte gesagt werden können und man hätte infolgedessen auch bessere Gedanken entwickeln können, hätte man mich nur andere Dinge tun lassen, als ich getan hatte. Dass ich ein besseres Simile hätte sein können für jene, die mich gebraucht hätten, um präzise auszudrücken, was sie meinten; um jene Dinge auszudrücken, die mir in meiner jetzigen Form, wie sie behaupteten, nicht glichen. Doch was das für Dinge waren, vermochten diese Kritiker selbstverständlich nicht zu sagen, weil ihnen die Begriffe fehlten, um sie auch nur zu denken.
    »Aber …« Scile klang unglücklich.
    »Sie müssen in den Hinterstübchen ihrer Köpfe sein, diese Gedanken«, meinte ich. »Ist das der Grund, weshalb sie verärgert sind? Weil sie ihnen verwehrt bleiben?«
    »Warte«, sagte Scile. »Einer von ihnen spricht über dich: ›Es ist ein Vergleich, und … es ist etwas Neues.‹ Das verstehe ich nicht. Das verstehe ich nicht.«
    »Schon gut, mein Geliebter, du …«
    »He«, flüsterte Scile, »sie benutzen jetzt andere Redefiguren.« Er wies auf unsere Gefährten aus Botschaftsstadt, denen die Gastgeber sich zugewandt hatten. Verwundert drehte er seinen Kopf. »Wenn ich sie richtig verstehe … Dieser Mann Hasser, er hat uns belogen. Er ist kein Beispiel: Er ist wie du ein Simile.«
    Wie auch immer meine Verwendbarkeit infrage gestellt wurde – ich muss doch meinen Nutzen gehabt haben: Während der Wochen, in denen diese Veranstaltungen in Mode waren, ließen die Gastgeber mich immer wiederholt zu sich bringen.
    Etwas verschlechterte sich zwischen CalVin und mir. Wochenlang hatte ich sie beim Sex geneckt, dass ich den Unterschied erkennen konnte in der Art, wie sie mich berührten: Wahrscheinlich wussten sie, dass darin ein wenig Wahrheit lag. Als wir anfangs zusammengefunden hatten, war ich in unreifer Weise aufgeregt gewesen, dassich mit einem Botschafter schlief. Doch dieses ziemlich gespielte Schwindelgefühl hielt nicht lange an.
    Ich erinnere mich daran, wie sie sich anfühlten, an die Kühle ihrer Verbindungselemente im Nacken, minimalistischer Schmuck, der ihre Gedanken in dem jeweils anderen verstärkte. Ich erinnere mich daran, als ich ihnen zusah, wie sie sich gegenseitig berührten – eine besondere, einzigartige Erotik. Danach grinste ich möglicherweise wollüstig, wenn ich sie voneinander unterschied, doch es war ein nervöses Spiel. »Cal«, sagte ich zum Beispiel und zeigte zuerst auf den einen, dann auf den anderen. »Vin. Cal … Vin.« Vielleicht lächelten sie, vielleicht sahen sie weg. Ich konnte manchmal, vor allem morgens, Unterschiede bemerken. Die Zeichen der Nacht – ein von einem Kissen bedrucktes Gesicht, spezielle Augensäcke. CalVin blieben niemals lange vor den Waschungen; sie verschlossen die Tür zur Korrekturkammer, und wenn sie wieder auftauchten, waren all diese winzigen Unterschiede ausgelöscht oder kopiert worden.
    Sie mochten es nicht, dass ich immer wieder zu den Veranstaltungen und Versammlungen eingeladen wurde. Doch das Botschaftspersonal konnte kaum ablehnen, wenn die Gastgeber Anfragen wie diese stellten. Einmal sagte mir einer der beiden CalVin in einem plötzlichen Wutanfall, ohne dass ich irgendeinen Anlass dafür bemerkt hätte, dass Botschafter überhaupt keine Scheißmacht besäßen, dass die anderen Mitarbeiter, die Wesire und der Rest des Personals, all die verfluchten Entscheidungen träfen, dass er und sein Doppel weniger zu sagen hätten als irgendein anderer.
    Inzwischen stritt ich bisweilen mit ihnen. Nach einer wirklich unschönen, heftigen Auseinandersetzung – ich schwöre, dass ich nicht angefangen hatte – blieb Cal oder Vin sekundenlag in der Tür stehen und starrte mich mit einem

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