Stadt der Fremden
auf, entsetzt zu sein über die Aburteilung, die ich gesehen hatte. Doch Monate vergingen – und unsere Monate sind lang –, und wir kamen aus den Flauten heraus, und Valdik und Hasser waren lange tot. Mit CalVin oder Scile sprach ich immer noch nicht, doch obschon ich nicht wusste, welche Personalmitarbeiter und Botschafter mitschuldig an dem waren, was sich ereignet hatte, konnte ich sie nicht alle ewig verachten. So konnte ich nicht in Botschaftsstadt leben. Es fühlte sich tatsächlich nicht an wie ein Nachgeben, sondern wie Überleben.
Selbst CalVin und ich gelangten zu einer stillschweigenden Übereinkunft, die es uns erlaubte, im selben Raum anwesend zu sein, wenn wir uns dort begegneten. Schlussendlich fand ich mich sogar damit ab, dass wir vielleicht eines Tages wieder kurze, kühle Worte würden austauschen können.
Ich erinnerte mich an diejenigen von Sciles Eigenschaften, jene kleinen Undurchschaubarkeiten, die immer gegenwärtig gewesen waren und die mich stets fasziniert hatten. Nun schienen sie seine ganze Persönlichkeit zu bestimmen. Ich wusste nicht, welche Befürchtungen der Rest des mitschuldigen Personals in Bezug auf surl | tesh-echer gehabt hatte, doch ich glaubte, sie mussten politischer Natur gewesen sein. Bei Scile war ich mir da nicht so sicher, obwohl er jetzt auch dem Personal angehörte und schon seit Langem in dessen Umfeld arbeitete. Und das ungeachtet seiner perfekten Manipulation der leichtgläubigen Simile-Fanatiker. Er arbeitete als Apparatschik, doch ich fragte mich, ob er in Wahrheit ein Prophet war.
Viele Monate nach diesen schrecklichen Ereignissen, nach der ersten Krise, als Botschaftsstadt in eine andere Phase in den Zyklen der Stadt eintrat und die Ankunft des nächsten Schiffs näherrückte, als die Zeit endete, die ich »einstmals« genannt habe – da machten die Gastgeber offenkundig Scile zu einem Simile. Ich hörte das von Ehrsul.
Sie konnte nicht genau herausfinden, was er hatte tun müssen. Er war ein Teil von Sprache , doch ich hörte niemals, wie er gebraucht wurde: und auf verschiedenen – wie ich hoffe – nicht ausfindig zu machenden Lauschverfahren versuchte ich dies tatsächlich. Dagegen waren die Similes Hasser und Valdik gestärkt worden, freilich in einer durch die Ereignisse veränderten Form. Es ist wie der Junge, der geöffnet und wieder geschlossen wurde und tot ist. Es ist wie der Mann, der jede Woche mit den Fischen schwamm und tot ist. Die Ariekei fanden neue Verwendungsweisen für diese neuen Formulierungen.
Ehrsul war mir eine gute Freundin in jener trostlosen Zeit, obwohl ich es nicht wagen würde, ihr alles zu erzählen, was ich wusste. Ich sagte mir selbst, dass ich nur abwartete. Ich war eine Immer-Eintaucherin. Wenn die Ablösung käme, würde ich in das Außen gehen, fort von diesem Ort hier. Dann kam die Flapo an, mit Einzelheiten darüber, was als Nächstes eintreffen würde, und mit der Ankündigung unseres unmöglichen Botschafters.
Wollte ich nicht bleiben, um zu sehen, was geschehen würde? Alles nach jenen Ereignissen war neuere Zeit, und das ist die einzigenoch ausstehende Geschichte. War ich nicht ungeduldig darauf, dass Botschaftsstadt sich änderte?
Das Ausmaß der Krise, die sich entfaltete, sorgte dafür, dass ich später nicht mehr ohne Schuldgefühle auf diese Gedanken zurückblicken konnte. Aber als ich zuerst begriff, dass die Dinge nicht ganz nach Plan verliefen – das erste Mal, als ich EzRa auf dem Ankunftsball traf und spürte, dass sie irgendein unerwartetes Chaos in Botschaftsstadt verbreiteten –, machte es mich glücklich.
Vierter Teil
SÜCHTIG
9
Leute wanderten durch die Straßen in einer Art von utopischer Ungewissheit: Sie wussten, dass alles anders war, fühlten sich jedoch unsicher, was das nun für ein Ort war, an dem sie jetzt lebten. Erwachsene unterhielten sich, und Kinder machten Spiele. »Ich bin gewillt, vorsichtig zu sein«, hörte ich einen Mann sagen, und ich hätte ihm am liebsten ins Gesicht gelacht. Gewillt sind Sie?, hätte ich fragen können. Gewillt wie? Was werden Sie tun? Wie werden Sie vorsichtig sein?
Wir hatten stets in einem Ghetto gelebt, in einer Stadt, die uns nicht gehörte, sondern Wesenheiten, die weitaus mächtiger und fremdartig waren. Wir hatten unter Göttern gelebt – winzig kleinen Göttern, aber Götter im Vergleich mit uns, wenn man betrachtete, was ihnen und was uns zur Verfügung stand. Diese Tatsache hatten wir lange nicht zur Kenntnis genommen. Jetzt
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