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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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erinnerte.
    »So«, sagte er. »Du bist hergekommen, weil die Welt dabei ist zu enden.« Ein stumm geschalteter Bildschirm hinter ihm zeigte ausführlich die Verwirrung in Botschaftsstadt.
    »Ist sie das?«, fragte ich.
    »Oh, ich glaube schon. Du etwa nicht?«
    »Ich weiß nicht, was ich denken soll«, erwiderte ich. »Darum bin ich hier.«
    »Ich glaube, es ist das Ende der Welt, ja.« Er lehnte sich zurück.Er schien sich wohlzufühlen. Er trank und schaute auf mich. »Doch, das glaube ich. Alles, was man kennt, ist beendet. Du weißt das, nicht wahr? Ja, ich kann sehen, dass du es weißt.« Ich bemerkte seine Zuneigung für mich. »Du hast mich beeindruckt«, fuhr er fort. »Solch ein intensiv fühlendes Mädchen. Ich hätte damals am liebsten gelacht. Sogar, während du dich um deinen armen Freund gekümmert hast. Der Gastgeber-Luft eingeatmet hat.«
    »Yohn.«
    »Wie auch immer. Wie auch immer.« Er lächelte. »Es ist das Ende der Welt, und du bist hier – warum? Du glaubst, ich kann helfen?«
    »Ich glaube, du kannst mir Sachen erzählen.«
    »Oh, glaub mir, niemand in jenem Schloss möchte, dass ich irgendetwas weiß. Sie halten mich da raus, so gut wie sie es zurzeit können. Ich behaupte nicht, ich hätte überhaupt keine Zugänge – es gibt jene, die weiterhin mit einem alten Mann klatschen –, aber wahrscheinlich weißt du mindestens so viel wie ich.«
    »Wer ist Redies?«, fragte ich.
    Er hob den Blick und schaute mich scharf an. »Redies?«, wiederholte er. »Ist es das wirklich? Oh. Nun. Christus Pharotekton.« Er glättete sein Hemd. »Ich habe mich das gefragt. Ich dachte, vielleicht muss es das sein, aber …« Er schüttelte den Kopf. »Doch man zweifelt. Man kann es schwerlich glauben, nicht wahr? Redies ist keine Person. Sie sind eine Sache. Sie sind Junkies.«
    »Alles, was geschehen konnte, ist irgendwann geschehen«, sagte er und beugte sich zu mir vor. »Wo sind die misslungenen Botschafter – was meinst du, Avice?«
    Es war so eine schockierende Frage, dass ich die Luft anhielt.
    »Um es unverblümt auszusprechen«, fuhr er fort, »du glaubst doch nicht im Ernst, dass jeder einzelne von den eineiigen Zwillingen, welche die Botschaft aufzieht, für die Pflichten eines Botschafters geeignet ist, nicht wahr? Natürlich nicht. Einige Doppel bringen es nicht: Sie sehen sich nicht ähnlich genug, dass man die Unterschiede richten könnte, sie haben Eigenarten, können trotz all des Trainings nicht ähnlich genug denken. Was auch immer. Du hättestdas gewusst, ohne dass man es dir sagen müsste, wenn du es dir erlaubt hättest, darüber nachzudenken. Es ist nicht direkt ein Geheimnis. Es wird nur nicht gedacht. Du weißt, dass ein Doppel in den Ruhestand geht, wenn der andere stirbt.« Er hob seine Hand leicht an und zeigte auf sich selbst. »Du bist nie in der Kinderkrippe der Botschaft gewesen, nicht wahr? Dort leben jene, die von vornherein niemals dort hinauskommen. Wenn du gezüchtet, aufgezogen und ausgebildet worden bist für einen Job und du ihn dann nicht ausüben kannst, welchen Nutzen hat es dann, dich hinauszulassen? Das könnte nur Ärger bereiten.«
    Kleine Räume mit künstlich erstellten Zwillingen, die vor sich hin vegetieren. Schlaffe, getrennte Doppel, die verdorben waren, der eine unversehrt, der andere wie ein geschmolzenes Bild. Oder vielleicht waren beide nicht richtig oder auch nicht verkehrt in einem körperlichen Sinne, sondern mit irgendeiner tiefsitzenden Gemeinheit ausgestattet. Oder sie waren nur nicht in der Lage, das zu tun, wofür sie geboren worden waren.
    »Und wenn du bereits draußen bist«, sagte Bren, »wenn du bemerkst, dass du deinen Beruf, deinen Doppel oder was auch immer hasst? Nun. Nun.« Er sprach sanft, als er mir das enthüllte. »Als er starb, mein … Es war ein Unfall. Es ist nicht so, als ob wir alt gewesen wären. Die Leute kannten uns … mich. Ich war viel zu jung, um zu verschwinden. Sie versuchten natürlich, mich ins Pflegeheim zu locken. Aber sie konnten mich nicht zwingen. Was also, wenn meine Nachbarn mich nicht mögen? Was also, wenn sie etwas Verkrüppeltes sehen? Niemand mag einen Getrennten, der mit seiner Verletzung prahlt. Wir sind Stummel.« Er lächelte. »Das ist es, was wir sind …«
    Schließlich fuhr er fort: »Es gibt Auszubildende, die nie Sprache sprechen können. Ich weiß nicht, warum. Können sie nicht im Gleichtakt sprechen, egal, wie sehr sie üben. Das ist einfach: Du lässt sie nicht gehen. Doch es gibt

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