Stadt der Lüste
über den Rasen – ob es derselbe war, den sie auch im Hausflur gesehen hatten, konnten sie nicht sagen.
Achtzehn
Emma zerrte ihren Koffer über die Türschwelle, stellte ihn im Flur ab und tippte den Zahlencode in die Alarmanlage, um sie zu deaktivieren. Die Ruhe der White Mountains lag weit hinter ihr, dafür befanden sich einige schöne Erinnerungen an Matt in ihrem Gepäck. In der Abgeschiedenheit von New England waren sie einander nähergekommen, hatten lange geredet, miteinander geschlafen, gekocht und ferngesehen. Es waren herrlich unkomplizierte, entspannende Tage gewesen, und Emma gewöhnte sich langsam daran, morgens neben Matt aufzuwachen, seinem Atem zu lauschen, wenn er noch schlief, oder sich leise mit ihm zu unterhalten.
Ihre Gespräche, die bis weit in die Nacht und einmal sogar bis zum Morgengrauen gedauert hatten, waren häufig um eine einzige Frage gekreist. Wie würde es weitergehen? Emma war bereit, als stille Teilhaberin bei Lomax einzusteigen, wollte sich darüber hinaus aber aus der Agentur heraushalten. Die Arbeit bei Lomax machte ihr zwar Spaß, doch es gab noch so viele andere Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben. Als sie aus New York nach London zurückgekehrt war, hatte sie allerdings nicht damit gerechnet, dass innerhalb kürzester Zeit ein Mann in ihr Leben treten würde, der ihr wirklich etwas bedeutete. Emmas Zukunft hatte geradeerst begonnen, und ob in dieser Zukunft auch Platz für Matt oder gar für ein gemeinsames Leben mit ihm war, wusste sie noch nicht. Beide vermieden es, dieses Thema anzuschneiden. Stattdessen redeten sie über die Vergangenheit und würzten die Gegenwart mit viel Sex.
Auf dem Rückflug nach England war das Thema jedoch allgegenwärtig. Es schlich sich in die Pausen zwischen einzelnen Sätzen und durchzog unterschwellig all ihre Handlungen.
Matt folgte Emma in die Wohnung, schloss die Tür und hob zwei Briefumschläge vom Boden auf, einen großen und einen kleinen.
»Post für dich«, sagte er.
Emma erwartete keine Post. Niemand außer Tom, Neil und Catherine wussten, dass sie in diesem Apartment wohnte.
Sie nahm Matt die Umschläge ab und spielte das übliche Ratespiel mit den Poststempeln. Der große, schwere Umschlag stammte aus Nordlondon und enthielt offenbar die Überprüfung der Lomax-Mitarbeiter, die Tom für sie durchgeführt hatte. Bei dem anderen Umschlag genügte ein Blick auf das hochwertige Papier und das Schriftbild, und sie wusste, dass er von Lomax stammte.
»Dein Anrufbeantworter blinkt auch«, sagte Matt und wies mit dem Kinn auf das Telefon.
Emma spielte die Nachricht ab.
»Hi, Emma, ich bin’s, Tom. Ich wollte dir nur sagen, dass ich die Informationen, um die du mich gebeten hast, heute in die Post gegeben habe. Wenn du wiederkommst,sollten sie bereits da sein. Ruf mich doch bitte zurück.«
Emma setzte sich auf die Couch im Wohnzimmer und riss den großen Umschlag auf. Ein ganzer Stapel von Computerausdrucken fiel in ihren Schoß, zusammen mit einem Briefchen von Tom. In seiner unverwechselbaren, gestochen scharfen Handschrift beschrieb er säuberlich, wie er bei der Überprüfung vorgegangen war, welche Details er herausgesucht hatte und wie exakt die Daten waren. Klugerweise hatte er die Notiz nicht mit seinem Namen unterschrieben, sondern mit »An meine geliebte Mutter, von deinem ergebenen Sohn«. Emma grinste. Ein weiterer Vermerk wies darauf hin, dass Tom die Daten selbst durchgesehen und ein paar Vermutungen angestellt hatte, die eventuell hilfreich sein konnten.
Die Informationen über die einzelnen Mitarbeiter waren sorgfältig zusammengeheftet worden. Emma blätterte die Unterlagen flüchtig durch, fasziniert und schockiert zugleich angesichts der Menge von Daten, die über einen Menschen zur Verfügung stand. Sie wusste, dass es spezielle Firmen gab, die derlei Informationen beschafften, selbstverständlich ohne preiszugeben, wie sie dabei vorgingen. Heutzutage wollte niemand so genau wissen, wie ein Glied in der Kette an Informationen über ein anderes gelangte. Emma überlegte, ob sie Tom rein interessehalber bitten sollte, die gleiche Überprüfung auch mit ihren eigenen Daten durchzuführen. Sie beschloss, sich später eingehender mit dieser Frage und den Unterlagen zu beschäftigen. Momentan war sie einfach nur müde und musste dringendschlafen. Trotzdem warf sie einen Blick auf die Kommentare, die Tom auf die Deckblätter der Dossiers geschrieben hatte. Malcolm hatte einen Kredit für den Ausbau
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