Stadt der Masken strava1
nördlichen Ende und dann zur Isola dei Morti.
Die ganze Stadt war in Trauer. Nicht ein Bellezzaner, ob alt oder jung, hatte es versäumt, die Feierlichkeiten zu beobachten. Die beiden Brücken über die breite Wasserstraße waren so voll gepackt mit Leuten, dass sie in Gefahr schienen, einzubrechen. Die ganze Nacht schon hatten Bürger auf dem Rialto zugebracht, um sicherzugehen, einen Platz an der Balustrade zu bekommen und der Duchessa von dort aus Lebewohl sagen zu können. Wer immer eine Wohnung mit Blick auf den Kanal hatte, war auf dem Balkon und beobachtete den Trauerzug über das Wasser.
Etwas abseits des Rialto stand eine Familiengruppe, die weniger bewegt schien als der Rest der Leute: zwei Frauen in mittleren Jahren und zwei ebenso alte Männer sowie ein junges Mädchen, das noch nicht alt genug war, um eine Maske zu tragen. Hinter ihnen stand ein hoch gewachsener rothaariger Mann. Die Frauen waren zurückhaltend, wenn auch gut gekleidet, ganz in Schwarz, wie die übrigen Bellezzaner. Selbst das Mädchen hatte seine braunen Locken unter einem Schleier aus schwarzer Spitze verborgen. Leonora und Arianna hatten der Beerdigungszeremonie aus dem einfachen Grund nicht beigewohnt, dass ihre Hauptperson neben ihnen stand. Die hübsche Frau mit den veilchenblauen Augen trug eines von Leonoras Kleidern; zum Glück besaß Leonora eine reiche Auswahl an Trauerkleidern.
Sobald die Duchessa beschlossen hatte das Spiel ihres eigenen Todes mitzuspielen, hatte sie Lucien zu Leonora geschickt, damit er Arianna berichten konnte, was tatsächlich geschehen war, und um ein paar Kleider zu borgen. Die alte Kammerzofe Silvias, Susanna, die Giuliana an ihrem letzten Tag auf Erden angeheuert hatte, hatte sich schließlich zurechtgelegt, was tatsächlich geschehen war, und sich durch den Geheimgang begeben. Sie war eine der wenigen, die ihn kannten. Ihr Gefühlsausbruch, als sie ihre Herrin lebendig vorfand, hatte die Duchessa so bewegt, dass die beiden sich geschworen hatten sich gemeinsam verborgen zu halten.
Die Männer der kleinen Partie am Kanal waren ebenfalls nicht so untröstlich wie die meisten Bellezzaner um sie herum. Auch Egidio und Fiorentino gehörten zu den wenigen Menschen, die wussten, dass die Duchessa nicht in dem Sarg lag.
Ebenso war Guido Parola in das Geheimnis eingeweiht worden. Er hatte solche Qualen ausgestanden, als er hörte, dass das zweite Attentat erfolgreich gewesen sei, dass die beiden Brüder, die von Rodolfo ins Vertrauen gezogen worden waren, Silvia gebeten hatten den jungen Mann ebenfalls aufklären zu dürfen.
Jetzt beobachteten sie, wie die Trauergondel langsam den Kanal hinauffuhr, gefolgt von einem Staatsgefährt mit Rodolfo und dem remanischen Botschafter. Es folgte eine zweite Mandola mit dem Bischof und seinen Priestern und dann die große Barke mit vielen Ratsherren und Senatoren an Deck, sowie mit einer Kapelle, die eine Trauermusik spielte. Die klagende Melodie wetteiferte mit dem einzelnen Ton der Glocke vom Campanile.
Der Kanal füllte sich mit Blumen, je mehr Bellezzaner Gebinde auf den vorbeiziehenden Sarg warfen. Einige der Sträuße landeten in der Mandola, sodass ihr strenges Schwarz inzwischen von bunten Farbklecksen geziert wurde. Doch die meisten Blumen fielen daneben ins Wasser und schwammen zusammen mit billigen goldenen Amuletten, die die Göttin repräsentierten, hinter dem Trauerzug her.
Als die Mandola mit dem Sarg an der kleinen Familiengruppe vorbeifuhr, beobachtete Silvia die Bürger um sie herum genau. Alle weinten, viele sanken auf die Knie und bekreuzigten sich oder machten das Zeichen der Glückshand. Viele riefen: »Die Göttin segne sie!«, oder: »Bellezza ist tot!« Eine alte Frau in Silvias Nähe sagte: »Nie wieder wird es eine Duchessa wie sie geben – nicht, solange ich lebe!« Silvia musste sich den Schleier tiefer über das Gesicht ziehen, um ihr Lächeln zu verbergen.
Dann fuhr die Staatsmandola an ihnen vorbei. »Heuchler!«, flüsterte Silvia. Rinaldo di Chimici hielt sein Taschentuch vors Gesicht, als sei er von Gram erschüttert. »Er tut das nur, weil er den Gestank der Kanäle nicht ertragen kann«, murmelte sie.
Rodolfo saß aufrecht neben dem Botschafter, wie erstarrt vor Kummer. Doch die kleine Gruppe wusste nur zu gut, dass er starr vor Nervosität war seine Rolle zu Ende zu spielen. Sein Gesicht hatte tiefe Falten, als ob ihn die Ereignisse der vergangenen Tage hatten altern lassen. Die Menge brachte ihm viel Sympathie entgegen,
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