Stadt der Masken strava1
vielleicht irrational, aber bei dem Geruch spürte Lucien, wie sich sein Magen zusammenkrampfte. Als sie im Wartezimmer der Onkologie sa
ßen, versuchte er sich abzulenken, indem er über das nachdachte, was letzte Nacht in Bellezza geschehen war. Zuerst war Arianna außer sich gewesen über die Duchessa. »Mich kannst du nicht so herumschubsen wie alle anderen!«, hatte sie wütend ausgestoßen. »Du bist nicht mehr die Duchessa, daher muss ich dir nicht gehorchen. Und glaube bloß nicht, nur weil du meine leibliche Mutter bist, ändert das etwas. Du hast mich im Stich gelassen. Meine richtige Mutter ist die, die mich aufgezogen hat. Und sie würde nicht im Traum daran denken, irgendwelche Beschlüsse zu verkünden, ohne mich vorher überhaupt dazu befragt zu haben!«
Alle außer Silvia waren nach diesem Ausbruch peinlich berührt gewesen. Die Duchessa hatte jedoch einfach abgewartet, bis Arianna schluchzend und erschöpft in Valerias Arme gefallen war. Die beiden Frauen warfen sich über ihren zerzausten Locken einen Blick zu.
»Was wäre dir denn recht, Arianna?«, fragte die Duchessa ungewöhnlich sanft.
»Bellezza muss eine Herrscherin bekommen. Und die Stadt muss von Remora unabhängig bleiben. Dem stimmst du doch zu?« Der Lockenkopf an Valerias Schulter nickte. »Und wer soll es denn werden? Ich habe keine darauf vorbereitet, mir nachzufolgen. Erst seit kurzem habe ich mich damit befasst, abzutreten.
Und dann haben mich die Attentate überzeugt, dass ich hinter den Kulissen besser wirken kann. Du brauchst natürlich einen Regenten – du bist noch zu jung, um alleine zu regieren. Aber das könnte Rodolfo übernehmen. Und ich selbst bin ja nur ein paar Meilen entfernt in Padavia und gerne bereit, dir zu helfen, wann immer du mich brauchst. Ich habe immer nur das Beste für dich gewollt, Arianna, deshalb habe ich dich heimlich aufziehen lassen. Du wärst eine ausgezeichnete Geisel gewesen, mit der man mich hätte zwingen können den Vertrag der Chimici oder alles, was sie verlangten, zu unterzeichnen. Es gibt einige Leute in
Bellezza, die die wahre Lage kennen. Die Leute in diesem Raum und deine Groß
eltern. Du wirst doch nicht alleine sein.«
Lucien dachte gerade an diese letzten Worte, als er aufgerufen wurde. Er warf seinen Eltern einen dankbaren Blick zu. »Ich bin froh, dass ihr beide hier seid«, flüsterte er, als sie gemeinsam ins Sprechzimmer gingen.
Enrico war völlig unvorbereitet auf den Besuch von Giulianas Vater. Vittorio Massi war ein großer, breitschultriger Mann und er hatte wahrlich keine gute Laune. Mit Gewalt verschaffte er sich Einlass in Enricos Behausung. »Wo steckt sie?«, wollte er wissen und ließ seiner Frage einige unverständliche Drohungen folgen, einschließlich der Erwähnung einer Pferdepeitsche.
Enrico war erstaunt. »Redest du von Giuliana? Ich habe sie seit Tagen nicht gesehen. Nicht mehr seit kurz vor dem Tod der Duchessa, die Göttin sei ihr gnädig.«
Vittorio Massi bekreuzigte sich automatisch und machte zur Sicherheit noch das Zeichen der Glückshand, aber er war keineswegs besänftigt. »Wir auch nicht«, sagte er. »Sie hat uns an jenem Morgen erzählt, sie führe wieder nach Burlesca für eine Anprobe der Hochzeitskleider, doch die Schneiderin hat eine Nachricht schicken lassen, dass sie ihren Termin versäumt hat und ob es ihr nicht gut ginge. Deshalb hatte ich angenommen, dass sie hier bei dir ist. Wobei solch ein unverfrorenes Verhalten eine Schande für meine ganze Familie und ihren Namen gewesen wäre, zehn Tage vor der Hochzeit!«
Wütend stürmte er im Zimmer umher, aber es war eindeutig, dass sich hier keine junge Frau versteckte. Enrico spürte plötzlich eine nagende Angst: Wenn sie nun mit dem Silber davongelaufen war?
»Hat sie irgendwas von ihren Sachen mitgenommen?«, fragte er.
»Komm mit und sieh selbst nach«, sagte Vittorio. »Soweit ich feststellen konnte, ist alles, wo es sein sollte.«
Vittorio, der seinen zukünftigen Schwiegersohn nie gemocht hatte, begriff nun aber doch, dass dieser tatsächlich nicht wusste, wo Giuliana steckte. Das stimmte ihn etwas milder. Doch wenn seine Tochter nicht bei ihrem Verlobten war, wo zum Teufel steckte sie bloß?
Die Aufräumarbeiten im Palazzo dauerten noch lange nach der Beisetzung an.
Der Glassalon war natürlich völlig zerstört, aber alle Scherben mussten säuberlich gesichtet werden, einerseits, um die grausige Identifizierung der Duchessa vorzunehmen, andrerseits, um nach Hinweisen
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