Stadt der Masken strava1
denn man betrachtete ihn als einen Mann, der nicht nur wie der Rest der Stadt seine Herrscherin, sondern auch noch die Liebe seines Lebens verloren hatte.
»Der arme Kerl!«, sagte einer der Umstehenden. »Wie ich gehört habe, hat sie ihm das Leben zur Hölle gemacht.«
Silvia schoss ihm einen bösen Blick zu, aber die Leute um ihn herum hatten ihn schon zum Schweigen gebracht. Heute ließen sie nichts auf ihre Duchessa kommen.
Hinter einer Biegung des Großen Kanals standen Lucien und William Dethridge unter den Zuschauern. Lucien spürte die Unwirklichkeit des Spektakels und sah trockenen Auges zu, wie die Trauermandola vorbeiglitt. Aber William Dethridge weinte ausgiebig um die Duchessa, obgleich er doch wusste, dass sie noch lebte.
»Sie war eine großartige Regentin«, sagte er zu Lucien, der merkte, dass der Dottore nicht schauspielerte. »Was wird die Stadt ohne sie machen?«
Und plötzlich fühlte sich auch Lucien von der großen Welle der Emotionen mitgetragen. Er wusste zwar, dass Silvia noch lebte, aber auf eine Weise stimmte es ja, dass die Duchessa gestorben war. Nie wieder würde er sie in einer ihrer phantastischen Masken sehen, mit ihrem herrlichen Schmuck und den üppigen Kleidern. Sie war nun niemand anders mehr als Silvia Bellini, eine Bürgerin der Stadt Bellezza, und er konnte sich einfach nicht vorstellen, was sie mit dem Rest ihres Lebens anfangen wollte.
Still und wortlos verharrte die Menge, während die Trauermandola mitsamt den Trauernden und der Barke hinaus zur Isola dei Morti fuhr. Die Beisetzung dort war kurz und dann kam die Trauermandola denselben Weg wieder zurück. Kein Ton war zu hören, während sie durch den Großen Kanal fuhr, höchstens das eine oder andere unterdrückte Schluchzen von den Ufern. Keine Blumen wurden mehr ins Wasser geworfen und die Musiker hatten aufgehört zu spielen.
Als die Mandola den Anleger erreichte, hörte auch die Glocke zu läuten auf und ganz Bellezza schien einen gemeinsamen Seufzer auszustoßen. Nun war die Duchessa tatsächlich fort.
Im Norden der Stadt hielt eine kleine Gruppe ihre eigene Art von Totenwache.
Bellezza war inzwischen wie eine Geisterstadt. Keiner war mehr auf der Straße.
Das würde sich ändern, sobald die Leute daheim genug Wein konsumiert hatten.
Dann würden sich die Straßen wieder füllen und mit der Zeit würden die Bürger zu singen anfangen und ein spontanes Fest veranstalten. Doch vorerst musste sich jeder von den Gefühlswallungen des Vormittags erholen.
Bei Fiorentino zu Hause war weniger als ein Dutzend Leute versammelt, das wusste, dass die Duchessa überlebt hatte: Silvia selbst, Arianna, Valeria und Gianfranco, Lucien, Leonora und Dethridge, die inzwischen enge Freunde geworden waren, Egidio, Fiorentino, Guido Parola und Susanna, die Kammerzofe. Bald stieß Rodolfo dazu, der sich vom Beerdigungsbankett verabschiedet hatte. Keiner hatte seinen Entschluss hinterfragt, man nahm allgemein an, dass er zu tief trauerte, um noch länger in der Öffentlichkeit zu bleiben.
Mit seinem Eintreffen war die Gruppe vollzählig und ein Gefühl der Erwartung griff um sich. Jeder wartete auf eine Rede von Silvia, doch schließlich war es Rodolfo, der fragte: »Was passiert nun?«
»Erst mal«, sagte Silvia, »trinken wir auf das Andenken der Duchessa, wie alle anderen Bürger von Bellezza.«
»Auf die Duchessa!« Die Stimmen übertönten sich gegenseitig und alle tranken ihren roten Wein.
»Und nun…«, versuchte Silvia fortzufahren, doch Rodolfo unterbrach sie.
»Bevor du mehr sagst, sollten wir noch auf die unglückliche Frau trinken, deren Reste in dem Sarg liegen, und für ihre Seele beten.«
Silvia sah kurz so aus, als wolle sie Protest einlegen, doch dann hob sie ihr Glas.
»Auf Giuliana, Nachname unbekannt, möge sie in Frieden ruhen.«
Wieder tranken alle.
»Darf ich jetzt fortfahren?«, fragte Silvia und sah sich im Zimmer um. Es herrschte Schweigen.
»Wie die meisten von euch wissen«, fuhr sie fort, »war ich allein in meinem Zimmer, als die Explosion stattfand. Durch einen Geheimgang eilte ich zu Rodolfo, völlig aufgelöst über den Lärm und den Gestank nach Schwarzpulver. Ich hatte keinen Plan für mein weiteres Vorgehen. Aber ich bin müde. Ich bin nun seit fünfundzwanzig Jahren Duchessa dieser großartigen Stadt gewesen und habe ihr gedient, so gut ich konnte. Ich beschloss diese Gelegenheit zu ergreifen, um wieder das Leben einer Privatperson zu führen.«
Lucien hatte sich noch nicht
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