Stadt der Masken strava1
daran gewöhnt, sie ohne Maske zu sehen, doch gerade das war eine perfekte Tarnung. Kaum ein Mensch außerhalb dieses Zimmers hatte sie seit einem Vierteljahrhundert ohne Maske gesehen.
»Doch werde ich meinen Kampf gegen Remora und die di Chimici nicht aufgeben«, fuhr sie fort. »Er wird nur eine neue Form annehmen und ich arbeite hinter den Kulissen.«
»Wo wollt Ihr leben?«, fragte Fiorentino. »Ihr wisst, hier könnt Ihr immer ein Heim finden.«
»Oder auch bei mir«, setzte Egidio hastig hinzu.
»Oder bei mir«, bot Leonora an. Rodolfo sagte nichts, obwohl Lucien sehen konnte, dass William Dethridge ihn auffordernd in die Rippen stieß.
»Ich danke euch allen«, sagte Silvia. »Aber ich werde nicht in Bellezza bleiben.
Das ist zu gefährlich, selbst auf den Inseln draußen. Ich dachte daran, nach Padavia zu ziehen. Es ist weniger als eine Tagesreise entfernt, ich kann also leicht hierher zurückkehren, wenn ich gebraucht werde. Susanna hat mir genug von meinem Privatvermögen durch den Geheimgang mitgebracht, dass ich mich unter neuem Namen niederlassen kann – als reiche Witwe aus Bellezza. Susanna wird mitkommen und ich hoffe, der junge Guido ebenfalls.« Parola errötete und sprang auf. Er beugte sich über Silvia und küsste ihr die Hand. Lucien verspürte heftige Eifersucht. Als er Parola das letzte Mal gesehen hatte, hatte dieser immerhin versucht, die Duchessa zu töten. Es war schwer fassbar für Lucien, dass er jetzt ihr Beschützer sein sollte, obwohl man ihm ja versichert hatte, dass der Attentäter inzwischen bekehrt war. Gerne hätte ihr Lucien selbst seine Dienste angeboten, doch was konnte er schon machen? Er wusste ja nicht einmal, ob er noch lange in Talia bleiben konnte.
»Was ist mit di Chimici?«, fragte Fiorentino. »Lasst Ihr ihn davonkommen, genau wie das letzte Mal?«
»Nein«, sagte Silvia lächelnd. »Aber es gibt eine bessere Art, ihn zu bestrafen, als ihn vor Gericht zu bringen. Außerdem kann ich ja schlecht als Zeugin meines eigenen Todesfalls vor dem Rat auftreten, oder?«
Lucien hielt es nicht mehr aus. »Aber ich verstehe nicht, was da vor sich geht.
Wer wird denn die neue Duchessa? Was wird aus Bellezza? Wie können Sie die Stadt einfach verlassen? Di Chimici wird doch bestimmt versuchen, sie jetzt zum Teil der Föderation zu machen?«
»Ich bezweifle nicht, dass Rinaldo di Chimici eine eigene Kandidatin vorgesehen hat, Silvia«, sagte Rodolfo.
»Da hast du sicher Recht«, erwiderte Silvia und sah ihn mit ihren veilchenblauen Augen fest an. »Aber das habe ich auch.«
»Wen meinen Sie?«, fragte Lucien.
»Du weißt nicht viel über unser politisches System, Luciano, nicht wahr?«, fragte Silvia. »Aber vielleicht hast du gehört, dass die Tochter einer Duchessa ihr auf den Thron folgen kann. Natürlich muss sie gewählt werden, aber gegen die Erbin einer Duchessa hat noch nie eine andere Kandidatin gewonnen. Und ich bin überzeugt, dass Arianna eine ausgezeichnete Duchessa abgeben wird!«
Kapitel 18
Viva Bellezza!
Lucien wachte mit einem Ruck auf. Laut hörte er seinen Wecker klingeln und einen Augenblick lang konnte er sich nicht erinnern, warum er ihn gestellt hatte.
Dann fiel es ihm wieder ein: Heute war ein wichtiger Tag für ihn – eine Untersuchung. Nach allem, was er zu Beginn des Jahres durchgemacht hatte, schien es eigentlich unmöglich, aber die Ereignisse in Bellezza hatten ihn so gefangen genommen, dass er den Gedanken an seine Laborwerte fast verdrängt hatte, obwohl er doch vor zwei Tagen schon zur Computertomografie gewesen war.
Ganz anders seine Eltern. Allerdings versuchten sie während des Frühstücks und der Fahrt zum Krankenhaus ihre Nervosität nicht zu zeigen. Irgendwie machte das Lucien jedoch eher unruhig.
Er wusste, dass er sich viel besser fühlte als zu der Zeit der Chemotherapie. Die schreckliche Zerschlagenheit hatte aufgehört und stattdessen hatte er das viel gesündere Gefühl, einfach nicht genug Schlaf zu bekommen. Aber selbst wenn er aus Bellezza zurückkehrte, fühlte er sich nicht mehr so kaputt wie zu Anfang.
Als er die Gummischwingtür für ambulante Patienten passierte, kamen jedoch schlagartig all seine alten Ängste zurück. Es hatte etwas mit dem Geruch zu tun.
Der bestand aus einer Mischung aus Desinfektionsmitteln für die Böden, der rosafarbenen Flüssigkeit, mit der die Ärzte ihre Hände wuschen, und dem in der Luft hängenden Dunst von zu lange gekochtem Kohl, der aus der Krankenhausküche kam. Es war
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