Stadt der Schuld
dir, keine Dummheiten zu machen und mir nicht zu widersprechen. Das kann ich auf den Tod nicht ausstehen, verstanden?«
Mary nickte. Wie hätte sie es auch wagen können, dieser Frau zu widersprechen?
»Nun gut, dann bist du jetzt an der Reihe. Du hast gesehen, wie es geht. Den Vormittag habt ihr Zeit, da ist noch nicht so viel Kundschaft. Du wirst deinen drei Gefährtinnen gleichermaßen zu Diensten sein – zur Übung, verstehst du? Viele der Gentlemen lieben es übrigens, dabei zuzusehen – weiß Gott, warum –, deshalb ist es gut, wenn du entsprechende Fähigkeiten beherrschst. Die Mädchen zeigen dir auch noch ein paar Kniffe. Josephine«, sie wandte sich unvermittelt an das Weib, das Marys Brüste bearbeitet hatte, »du bist die Erste. Edna wird die Aufsicht übernehmen, dann ...«, sie grinste auf eine unangenehme Art, »ist Heather an der Reihe, nicht wahr, mein Schäfchen?« Die, die Heather genannt wurde, nickte, offenbar hocherfreut, leckte sich lüstern die Lippen und sah Mary aufreizend an. Mary zuckte instinktiv vor ihr zurück. Mit diesem Weib stimmte etwas nicht. Aber was?
Edna schien mit der Wahl ebenfalls nicht ganz einverstanden zu sein, aber sie nickte dennoch gehorsam, als Mrs Friwell sich anschickte, den Raum zu verlassen.
»Also, dann an die Arbeit, Mädels!«, meinte sie, als gelte es einen Sack Kartoffeln zu schälen. »Mr Ashworth wünscht ausdrücklich eine gründliche Unterweisung. Das soll er haben, schließlich zahlt er gut.«
Die Tür schloss sich hinter ihr und Mary kniff ängstlich die Augen zusammen, als die drei Frauen gleichzeitig auf sie zukamen.
***
Aaron wusste selbst nicht, warum er seine immer noch ausnehmend schlechte Laune am Morgen erneut an Cathy ausgelassen hatte. Mürrisch, ohne einen Blick oder ein Wort, hatte er in Begleitung von William die Wohnung verlassen. Der sah ihn immer wieder scheu von der Seite an, als wolle er etwas sagen, getraute es sich aber nicht.
»Was?«, schnauzte ihn Aaron schließlich an.
Der Junge schrak zusammen, doch dann fasste er sich ein Herz: »Ich habe euch beide, Cathy und dich, gestern reden gehört. Stimmt es, dass Mary mit Mr Ashworth, ich meine ...?«
Seltsam, dass die verständliche Frage des Jungen ihn so aufbrachte. Was war nur mit ihm los? Aaron verstand sich selbst nicht. Er ballte die Hand in der Tasche zur Faust, so sehr, dass sich die Nägel schmerzhaft in die Handfläche bohrten, doch es half nicht.
»Du musst dir darüber nicht den Kopf zerbrechen, William!«, wiegelte er unwirsch ab. Etwas schnürte ihm die Luft ab, wie ein schwerer Druck auf der Brust. In seinem Kopf rasten Bilder, schreckliche Bilder, die er längst vergessen geglaubt hatte. Am liebsten wäre er fortgelaufen, fort von all dem hier!
»Werdet ihr uns jetzt fortschicken?«
»Was«
»Ich meine, jetzt wo Mary weg ist und sie euch solchen Ärger gemacht hat, werdet ihr uns doch sicher auch nicht mehr haben wollen.«
Endlich sickerte die Furcht des Jungen in sein Bewusstsein. Wie konnte er nur so herzlos sein? Der Druck in seiner Brust verstärkte sich, doch Aaron ignorierte ihn tapfer. »William«, er bückte sich, bis sein Gesicht auf gleicher Höhe mit dem des Jungen war und nahm ihn bei der Schulter, »hör mir zu. Wir werden euch nicht verstoßen, ganz gewiss nicht. Du brauchst keine Angst zu haben. Solange ich kann, werde ich für euch alle da sein.«
Plötzlich brach der Knabe in Tränen aus und klammerte sich an ihn wie ein Ertrinkender. »Wie konnte Mary uns auch noch verlassen, Aaron? Wir müssen doch zusammenhalten, oder nicht? Cathy sagt das auch.«
Die Erwähnung von Cathy gab Aaron einen Stich. Warum strafte er sie? Wie konnte sie ahnen, was ihn quälte, er wusste es ja nicht einmal selbst zu sagen. Er nahm sich vor, sie am Abend um Verzeihung zu bitten. Dann strich er William über den Kopf. »William, ich verspreche es dir ganz fest: Ich werde mich um euch kümmern, auch um Mary. Bestimmt wird sie bald einsehen, dass sie sich falsch entschieden hat und zurückkommen.«
William schniefte und wischte sich mit der Hand verstohlen die Tränen vom Gesicht. Es brach Aaron fast das Herz. »Meinst du wirklich?«
»Ganz bestimmt!« Er versuchte ein aufmunterndes Lächeln, es gelang ihm kaum. Tatsächlich befürchtete er das Schlimmste für Mary. Ashworth war einer, der nahm, und ohne Reue verwarf, was ihm nicht mehr diente. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er seines Spielzeugs überdrüssig werden würde und was Mary dann blühte,
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