Stadt der Schuld
wünschen, Ma'am?«
Nicht einmal einen gut livrierten Butler leistete man sich hier also. Es wunderte sie, was Havisham an diesen so augenfällig mittelmäßigen Leuten anzog. Er legte doch sonst so viel Wert auf Stil und Renommee.
»Ich möchte Mrs Meredith Baker sprechen.«
»Selbstverständlich, Ma'am. Wen darf ich melden?«
»Sie kennt mich bestimmt. Sagen Sie, eine Freundin der Familie Baker wünsche sie zu sprechen.«
Der Diener kräuselte etwas verdutzt die Stirn, doch ihr forsches Auftreten ließ ihn umgehend davoneilen, nachdem er ihr den Weg zum Salon gewiesen hatte.
Isobel sah sich in dem geschmackvoll, aber wenig repräsentativ eingerichteten Raum um. Auch hier war über den Spiegel über dem Kamin ein Trauerflor drapiert worden. Kein Zweifel, in diesem Haus war vor Kurzem ebenfalls jemand gestorben. Da öffnete sich die Tür und eine aschblonde, schlanke Frau in schwarzer Kleidung trat ein. Isobel starrte sie an. Das also war Meredith Baker, das Miststück, mit dem Havisham sie betrog? Ihre Verblüffung hätte größer nicht sein können. Die Frau war wirklich nichts Besonderes. Weder war sie schön noch jung, sogar mindestens zehn Jahre älter als sie selbst, und auch sonst fehlte jeder auch noch so geringe Anschein von Eleganz oder Weltläufigkeit, wie sie es eigentlich erwartet hatte. Beinahe hätte sie laut herausgelacht. Doch dann übermannte sie unvermutet Arger. Dass Havisham eine derartig graue Maus ihr vorzog – unerhört!
»Sie wollten mit mir sprechen, Mrs ...?«
»Havisham, mein Name ist Isobel Havisham.«
Die Frau wurde augenblicklich weiß wie die Wand und Isobel beobachtete befriedigt, wie sie Hilfe suchend nach der Lehne der Sitzgelegenheit neben sich griff. Dann versagten ihr offenbar die Beine den Dienst und sie setzte sich kraftlos.
»Oh!«
Isobel musterte die zu Tode Erschrockene kühl. »Allzu überrascht sollten Sie über meinen Besuch nicht sein, Mrs Baken Sie konnten doch wohl nicht annehmen, dass ich keine Kenntnis von Ihrem Verhältnis zu meinem Mann bekomme.«
Es dauerte einige Sekunden, bis Meredith Baker wieder etwas sagen konnte. »Wie ...?«, stammelte sie schließlich.
»Sie wollen wissen, wie ich davon erfahren habe? Nun, Horace selbst berichtete mir davon. Er will mich verstoßen Ihretwegen.«
Genüsslich beobachtete sie, wie das Weib nun, anscheinend zutiefst erschüttert, die weißen Hände vor das Gesicht schlug. Gut, dass sie spontan zu der Lüge gegriffen hatte, so konnte sie ihre Konkurrentin richtig einschätzen – ein albernes und obendrein offenbar recht ängstliches Huhn, weiter nichts. Keine echte Gegnerin. Meredith Bakers Schultern zuckten indessen verräterisch und sie begann zu schluchzen: »Aber ich sagte ihm, dass er das nicht tun dürfe! Oh, Gott, was habe ich nur getan?«
»Ihre Reue kommt reichlich spät, meinen Sie nicht?«, sagte Isobel unbeeindruckt. Doch dann gab sie ihrer Stimme bewusst einen verständnisvollen, weichen Klang. »Doch Sie müssen nicht glauben, dass ich Sie aufgesucht habe, um Sie zu demütigen, Mrs Baker. Nein, das liegt mir fern! Ich bin vielmehr gekommen, um Sie zu warnen.«
Die Frau sah sie furchtsam an. »Sie wollen mich warnen? Wovor denn, um Himmels willen? Sie müssen mir glauben, es ist nicht mein Wunsch, dass Horace Sie verlässt! Nie, nie würde ich so etwas verlangen! Das Ganze war ein furchtbarer Fehler, das sehe ich jetzt.«
Isobel beschloss, ihre Trümpfe auszuspielen. Diese Meredith Baker war erfreulicherweise ein wirklich leichtes Opfer. Oder war diese zur Schau getragene Betroffenheit doch nur geschicktes Theater? Das würde sich gleich zeigen. »Wissen Sie, eigentlich müsste ich ja froh sein, dass mein Mann endlich von mir ablassen wird.« Im Gesicht ihrer Gesprächspartnerin breitete sich Erstaunen aus. Isobel seufzte tief auf. »Sie ahnen nicht, was ich seit Beginn unserer Ehe durch ihn erdulden muss. Horace ... mein Mann ...«, sie ließ einen bedeutsamen Augenblick verstreichen und fuhr dann mit zitternder Stimme fort: »Ich schäme mich, Ihnen das sagen zu müssen, aber er quält und missbraucht mich bald jede Nacht. Unaussprechliche Dinge tut er mit mir, zwingt mich dazu mit Schlägen. Oh, meine liebe Mrs Baker, oft schon wollte ich am liebsten sterben aus Scham über das, was er in seiner fehlgeleiteten Gier von mir verlangt.« Isobel schaffte es tatsächlich, ein paar Tränen herauszupressen. Die hatten schon immer ihre Wirkung gehabt.
Meredith Baker stand erwartungsgemäß das blanke
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