Stadt der Schuld
zugetraut, muss ich sagen, wo er doch sonst immer so auf Diskretion und feiner Herr gemacht hat, obwohl er unserem Schankbier gerne zusprach. Das mögen selbst die feinen Leute.«
Armindale beugte sich interessiert über den Tisch. »Tatsächlich, eine Negerin? Das ist in der Tat ungewöhnlich. Was sagt denn seine Frau dazu?«
Der Wirt grinste. »Nichts mehr. Die ist nämlich schon längst ausgezogen und wohnt jetzt wieder bei ihren Eltern in Shedfield. Sie ist die Tochter des bischöflichen Pfarrers dort. Verdammt krude Sache, das! Alle reden darüber, zumal das Hexenweib offenbar bis dahin einem eindeutigen Erwerb nachgegangen ist. Kein Wunder, dass die Frau umgehend die Kinder geschnappt hat und gegangen ist.«
»Sie meinen, seine Geliebte ist eine Hure?«
Der Wirt feixte. »Na, das ist ja wohl nicht zu übersehen. Sie lässt sich zwar nicht oft auf der Straße blicken, da achtet Eastman drauf, aber ich kann Ihnen sagen, Sir, die versteht ihr Geschäft. Bei der ihrem Hinterteil wird jedem Mann wirr im Kopf und noch wirrer in den Lenden.«
Armindale war wie elektrisiert. »Sie wissen nicht, wo diese Frau ihrem Geschäft nachging?« Der Wirt zuckte bedauernd mit den Schultern und warf einen etwas schuldbewussten kurzen Blick zu seinem Weib hinüber, das bereits kritisch zu ihm und Armindale hinübersah.
»Tut mir leid, Sir, meine bessere Hälfte sieht's nicht gern, wenn ich tratsche. Aber ...«, er wischte unnötigerweise mit seinem vergrauten Putzlappen, den er immer bei sich zu tragen schien, über den Tisch, »es heißt, sie sei eine von diesen Edelhuren gewesen, weiß aber nicht genau, wo. Kann mir aber auch nicht denken, dass Eastman sich woanders als in so 'nem feinen Schuppen rumgetrieben hätte, wenn er's nötig hatte. Sie verstehen schon, einer wie der, der macht sich seinen Stengel nicht an irgendwelchen verwahrlosten Weibern schmutzig. Der genießt mit Stil.«
Armindales Puls pochte schneller. Es war nur ein vager Verdacht, aber immerhin eine Möglichkeit. Was war noch in diesem ominösen Schreiben gestanden, das er aus Havishams Schublade gefischt hatte? Da war von einem Inder die Rede gewesen. Dieses Wort und vor allem der Rest waren kaum zu lesen gewesen, aber mit viel gutem Willen konnte man davon ausgehen, dass die übrigen Worte möglicherweise von einer Frau sprachen, die sich Havisham hingegeben hatte. Was, wenn es sich dabei um eine Hure in einem Bordell gehandelt hatte? Einem Bordell, in dem sowohl Eastman als auch Havisham als Geschäftsleute verkehrten?
Er musste das Schreiben Havishams, das er in seinen Unterlagen im Hotel gut versteckt verwahrte, sofort noch einmal dahingehend überprüfen. Rasch sprang er auf und eilte hinaus.
Kapitel 37
Manchester, New Bailey Prison,
Mittwoch, 6. Januar 1841
Kapitel 37
Cathy harrte seit gut einer Stunde vor dem hohen Hauptportal des Gefängnisses aus. Die Kälte biss ihr unbarmherzig in die Haut und fraß sich durch bis auf die Knochen,obwohl sie sich fast alles übergezogen hatte, was sie an Kleidung besaß. Ungeduldig trat sie von einem Bein auf das andere. Zu Epiphany 47 wären die Wärter des Manchester New Bailey etwas freundlicher gestimmt als sonst, so hieß es, und so hoffte sie, heute zu Aaron, der immer noch in Untersuchungshaft schmorte, vordringen zu können. Schließlich hatte sie äußerst wichtige Neuigkeiten. Endlich war der Prozess anberaumt worden, das hatte sie aus einer Zeitung vom Vortag, die sie einem Ladenbesitzer abgeschwatzt hatte, erfahren, zusammen mit einigen anderen wichtigen Details darüber, weswegen die Männer angeklagt werden sollten.
Plötzlich kam Bewegung in die wartende Menge. Die meisten derer, die mit ihr vor dem Eingangstor ausharrten, waren ebenso ärmlich gekleidet wie sie und trugen dieselben kleinen Bündel mit Kleidung und etwas Nahrung für die Häftlinge mit sich. Nur einige wenige waren etwas besser gekleidet. Es war nicht zu leugnen, dass die meisten der Insassen des New Bailey arme Teufel waren, so wie die, die sich nun schiebend und stoßend in den Eingang drängten. Langsam bildete sich eine Schlange, Cathy stellte sich dazu und wartete. Jeder der Besucher wurde von den Torwächtern gründlich inspiziert, durchsucht und danach gefragt, wen er zu besuchen wünsche. Die meisten waren Angehörige von bereits verurteilten Männern und Frauen und wurden auf die rechte Seite des Torhauses geschickt, wo große Gitter einen Blick in den Innenhof des Gefängnisses freigaben. Auf der anderen Seite des
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