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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
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Gitters hatten sich schon etliche Gefangene, darunter vor allem Kinder, versammelt. Gerade diese harrten mit großen Augen aus, teils aus Neugier, teils aus Hoffnung, ob auch nach ihnen jemand fragen würde. Doch da hofften sie leider vergebens. Niemandem kam es in den Sinn, nach den Waisen und Verstoßenen zu fragen, die hier – meist wegen kleinster Vergehen – eingesperrt worden waren.
    Weitaus schwieriger als die bereits Verurteilten zu besuchen erwies es sich, zu den Untersuchungshäftlingen vorzudringen. Die saßen im abgetrennten linken Flügel des mächtigen, im Carré angelegten Baus ein. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis endlich ein Wärter herbeigerufen worden war. Dieser schien überdies wenig Neigung zu haben, sich der vier noch verbliebenen Besucher anzunehmen. Cathy beeilte sich dennoch, dem grimmig dreinblickenden und mit einem eindrucksvollen Schlagstock bewaffneten Wärter hinterherzukommen. Die kleine Gruppe passierte den Gefängnishof, auf dem trotz der frostigen Witterung reges Treiben herrschte. Zerlumpte Gestalten drückten sich in die Nischen der unteren Gänge, unterhielten oder stritten sich, oder versuchten ihre mageren Glieder an kleinen Kohlefeuern zu wärmen. Das New Bailey war für sich genommen fast ein eigener Kosmos, eine Stadt der Verfluchten. Über allem dröhnte das dumpfe Rattern der gefürchteten Tretmühlen, in denen sich die zur Zwangsarbeit verurteilten Männer, Frauen, ja selbst Schwangere und Kinder über kurz oder lang zu Tode schufteten. Ladewagen für das dort unter Mühen gemahlene Korn warteten vor dem zu einem Halbrund gefügten Mühlenbau, der den Innenhof bedrohlich dominierte. Abgezehrte Gefangene schleppten in einer schier endlosen Phalanx Mehlsäcke zu den Wagen. Ihre tief in den Höhlen liegenden Augen und schlotternden Kleider zeugten davon, dass sie die Letzten waren, die auch nur eine Handvoll des kostbaren Mehls erhoffen durften. Cathy wandte bedrückt den Blick ab. Aaron würde höchstwahrscheinlich bald ein ähnliches Schicksal erwarten. Mühsam drängte sie den angstvollen Gedanken zurück. Sie durften ihn einfach nicht verurteilen. Irgendwie musste der Plan, den sie sich in der Nacht zurechtgelegt hatte, gelingen. Irgendwie ...
    Eilig stieg sie mit den anderen hinter dem Wärter die Treppe ins Innere des Westflügels empor. Vor einer schweren Holztür, die um ihre eigene, mittlere Achse schwang und an beiden Seiten stark gesichert war, hielten sie an. Auf einen Wink des Wärters hin wurde diese geöffnet und ruckte mit einem vernehmlichen Knirschen herum. Cathy erschauerte. Fast fürchtete sie sich vor dem Anblick, der sie nun erwartete. Zwei der anderen Besucher waren zuerst an der Reihe, doch dann schloss der Wärter ihr die erste der Türen des Verlieses auf, in dem man Aaron eingesperrt hatte. Dahinter befand sich noch einmal eine zweite schwere Eichentür, ebenfalls mit dicken Riegeln gesichert und nur mit einer kleinen Klappe zum Durchreichen der Speisen und der Latrinenschüssel versehen. Die mächtigen Schlösser waren wie Hohn. Als ob es einem der Gefangenen hier gelingen könnte, als ob es einer von ihnen auch nur wagen sollte, den Fängen der britischen Justiz noch zu entfliehen. Und doch, sie konnte die Hoffnung einfach nicht aufgeben.
    »Halbe Stunde, mehr nicht!«, bellte der Wärter bärbeißig, streifte sie jedoch mit einem anzüglichen Blick, bevor er sich zu der letzten wartenden Frau umdrehte. Angewidert wandte Cathy sich ab. Leider musste sie sich damit begnügen, dass sie nur durch die vom Wärter geöffnete Klappe ins Halbdämmer spähen konnte. Wenn sie Geld gehabt hätte, um den Wärter zu bestechen oder ihm gefälliger gewesen wäre, hätte der sie vielleicht sogar in die Zelle hineingelassen, vermutete sie. Aber außer ein paar Kleidungsstücken, eingeschlungen in einen Fetzen wärmenden Wollfilz, etwas gekochtem Kohl mit Kartoffeln und einem kostbaren Stück Fleisch hatte sie nichts, was sie hätte geben können. Und dieses Wenige gehörte einzig ihrem Mann.
    »Cathy?« Aarons Stimme klang heiser und schwach. Cathy biss die Zähne zusammen, um nicht sofort in Tränen auszubrechen. Sie hatte sich geschworen nicht zu weinen, aber es fiel ihr schwer. Aaron so zu sehen, war eine Qual. Mager war er geworden in diesen vier Wochen. Das Haar stand ihm wirr und filzig vom Kopf ab und ein wilder, schwarzer Bart verbarg den größten Teil seiner ihr so vertrauten, geliebten Gesichtszüge. Seine Kleider stanken und starrten vor Dreck.

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