Stadt der Schuld
worden, das war – auch ohne die Schilderung seines Begleiters – leicht zu erkennen. Der Leichnam war nackt und übersät mit Blutergüssen. Der Brustkorb wirkte eingedrückt, die Rippen schienen gebrochen. Die Mithäftlinge hatten offenbar auch versucht, ihm mit bloßen Händen das Geschlecht abzureißen. Es war ihnen fast geglückt. Zwischen den Schenkeln klaffte eine blutige Wunde, Fetzen der Haut waren nur noch lose verbunden mit den kläglichen, schwärzlich verfärbten Überresten des Penis und der Hoden. Überall an seinem malträtierten Körper klebte getrocknetes Blut. Horace überkam plötzlich ein starker Würgereiz. Rasch wandte er sich ab. »Um Gottes willen, decken Sie ihn zu!«, keuchte er. Dann flüchtete er hinaus ins Freie und übergab sich.
Es dauerte eine Weile, bis er sich wieder gefasst hatte. Der leitende Beamte wartete geduldig in einigen Yards Entfernung. Schließlich winkte Horace ihn heran.
»Was soll nun mit der Leiche geschehen?«
Der Mann zuckte mit den Achseln. »Er ist ein verurteilter Gefangener. Normalerweise werden die in der Haft Verstorbenen hier auf unserem gefängniseigenen Friedhof begraben, aber in diesem besonderen Fall ...«
»Es wird Ermittlungen geben?«
»Nein! Warum auch? Die Sache ist klar. Die Täter wurden bereits ausgepeitscht dafür. Die Justiz ist an dergleichen nicht interessiert. Die meisten von den schweren Fällen werden ihr Leben ohnehin hier aushauchen. Das lohnt den Aufwand eines Prozesses nicht.«
Horace schwieg einen Augenblick. »Ich würde ihn gerne bestatten lassen in einem ordentlichen Grab. Ist das möglich? Mr Baker soll wenigstens im Tode seine Würde wiedererlangen.«
Der Beamte sah ihn indigniert an. »Nun, wie Sie meinen, Sir. Das Ganze ist natürlich bedauerlich, aber wenn Sie mich fragen, war das unvermeidlich. Dieser Mensch hat sich sein schmähliches Ende letztlich selbst zuzuschreiben.«
»Seien Sie still!«, fuhr Horace den Mann wütend an. »Was wissen Sie denn von Rupert Baker?«
Der Blick seines Gegenübers war unergründlich. Horace wusste nur zu gut, dass er sich mit seinem fortwährenden Engagement für den Sohn seines einstigen Kontrahenten selbst in ernsten Verruf brachte. Green hatte ihn eindringlich gewarnt und, als Horace nicht auf ihn hören wollte, den Kon takt weitgehend eingestellt – fast, als wäre er ein Aussätziger. Es war ihm gleichgültig gewesen, genauso wie die kritischen Blicke, die ihm auf den Gängen des Parlaments folgten. Er musste einfach etwas tun. Doch alles war vergebens gewesen. Trotz all seiner Bemühungen hatte sich nicht einmal ein Anwalt finden lassen, der sich mit dem Fall des Sodomisten Baker auch nur ansatzweise befassen wollte. Der bestellte Pflichtverteidiger des Gerichts war ein verkommenes, dem Alkohol verfallenes Subjekt gewesen, der Prozess eine entsprechende Farce. Rupert war im Grunde schon ein toter Mann, als er die Anklagebank betrat – und das wusste er. Horace, der den Prozess verfolgt hatte, hatte es deutlich in seinen Augen gelesen. Selbst die beträchtliche Summe, die er dem leitenden Gefängniswärter kurz darauf hatte zukommen lassen, damit dieser seine schützende Hand über den Delinquenten hielt, hatte daran nichts mehr ändern können.
»Haben Sie schon eine Nachricht an seine Frau geschickt?«, fragte Horace.
»Nein. Ich hatte angenommen, Sie würden die traurige Botschaft den Angehörigen vielleicht selbst überbringen wollen.«
»Ja!« Horace nickte. »Sie werden wegen der Beerdigung in Kürze von mir hören.« Dann wandte er sich ohne ein weiteres Wort ab. Ein schwerer Gang stand ihm bevor.
***
Armindale hielt Isobel am Ärmel zurück. »Denk noch einmal darüber nach. Ich sagte dir bereits, dass es riskant ist, ihn zum jetzigen Zeitpunkt anzuzeigen.« Isobel wehrte ihn unwillig ab. »Das ist meine Sache und meine Entscheidung«, fauchte sie, »wenn ich warte, bis du mit deinen sogenannten Ermittlungen endlich einen Schritt weitergekommen bist, bin ich alt und grau. Außerdem habe ich keine Lust mehr, dich für deine Unfähigkeit auch noch zu bezahlen.«
Armindale schürzte halb in gespieltem Unmut, halb in beleidigter Männlichkeit die Lippen. »Den Eindruck habe ich vorher aber nicht gewonnen! Es hat dir doch Spaß gemacht, oder nicht?« Isobel zuckte scheinbar gleichgültig mit den Schultern, aber er sah das Funkeln in ihren Augen. Gott, dieses Weib machte ihn noch verrückt! Er spürte, wie die Lust ihn erneut überkam. Hastig zog er sie an sich und
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