Stadt der Schuld
drängte ihr einen Kuss auf die willig geöffneten Lippen. Am liebsten hätte er es gleich hier in der Kutsche noch einmal mit ihr getrieben, aber sie stieß ihn von sich. »Mein Entschluss steht fest. Du kannst nun mitgehen oder es lassen. Das ist mir vollkommen gleichgültig.«
Armindale seufzte ergeben. Im Grunde hatte sie ja recht. Er kam einfach nicht weiter. Zwar hatte er dieses ominöse Edelbordell nach einigen Schwierigkeiten und einem sehr unangenehmen Gespräch mit Eastmans Ehefrau ausfindig gemacht, aber das Vögelchen, respektive der Besitzer war ausgeflogen. Es war wie verhext! Das Etablissement existierte zwar noch, aber ein anderer, recht brutal wirkender Kerl – ebenfalls ein Inder – führte jetzt die Geschäfte. Von Trumble war keine Spur zu entdecken gewesen. Er war wie vom Erdboden verschluckt. Ob er sich auch abgesetzt hatte, wie Eastman? Seltsam daran war nur, dass, wie er von einer Zugehfrau erfahren hatte, die meisten von dessen Kleidungsstücken und persönlichen Dingen noch im Hause waren. Jedenfalls war die Sache ausgesprochen verdächtig. Aber würde das für eine Erfolg versprechende Anklage ausreichen? Er zögerte nach wie vor. Schließlich konnte eine ungerechtfertigte oder nicht beweisbare Anklage auch sehr unangenehme Folgen für ihn selbst haben. Dann sähe er sich nämlich mit dem schwerwiegenden Vorwurf der üblen Nachrede und Spionage gegen einen Abgeordneten des Unterhauses konfrontiert, ein nicht unerhebliches Vergehen. Isobel, seiner Beschwichtigungsversuche überdrüssig, bestand nun aber vehement darauf, endlich zur Tat zu schreiten. Ver mutlich spielte dabei auch das seltsame Verhalten ihres Ehegatten eine gewisse Rolle. Horace Havisham machte sich jeden Tag mehr zum Narren. Selbst in der Weekly Dispatch, einer zugegebenermaßen recht spitzzüngigen Gazette Londons, war schon, wenn auch nur beiläufig in einem halben Satz, kritisch über den Whig-Abgeordneten berichtet worden. Das war etwas, was Isobel nur schwer verkraften konnte. Sie hasste den Gedanken, dass die Gesellschaft im Zuge dessen auch sie mit Misstrauen behandeln könnte. Er selbst war nun vor zwei Wochen schließlich unverrichteter Dinge aus Portsmouth zurückgekehrt. Seitdem schliefen sie regelmäßig miteinander. In der Tat bestieg er das Weib seines Feindes, sooft er konnte – und das bereitete ihm weiß Gott nicht nur Genugtuung. Sonst hatte sich allerdings nichts weiter getan.
Isobel öffnete den Verschlag der Droschke. »Was ist nun, Rob?«, fragte sie mit leicht erhobener Stimme. Armindale nickte. Seine Beteiligung dürfte sich ohnehin nicht verbergen lassen, also konnte er ebenso gut gleich mitkommen.
Isobel betrat vor ihm die Wache der Polizeistation. »Ich wünsche den Superintendent zu sprechen!«, verkündete sie forsch. Ihre blauen Augen blitzten. Sofort richtete sich die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sie. Selbst die unvermeidlichen Huren ließen für einen Augenblick ab von ihrem Gezeter. Es wunderte Armindale deshalb gar nicht, als sich im hinteren Bereich des großen Raums sofort ein Mann in Zivil von seinem Schreibtisch erhob und auf die Neuankömmlinge zukam.
»Das wird nicht möglich sein, Madam. Er ist heute nicht im Dienst, aber vielleicht möchten Sie mit mir vorliebnehmen?«, sagte er nach einer knappen Verbeugung. »Mein Name ist Hunt, Inspector Hunt. Worum geht es, wenn ich fragen darf?«
Isobel musterte ihn eisig. »Nun gut! Dann muss ich wohl mit Ihnen vorliebnehmen. Ich möchte Anzeige erstatten.«
»So? Eine Anzeige?« Der Inspector, ein recht gut aussehender, hochgewachsener Mann mittleren Alters, hob überrascht die Augenbrauen und betrachtete sein Gegenüber ausgiebig. Armindale verspürte spontan einen Anflug von Eifersucht.
»In der Tat: eine Anzeige!«, bekräftigte Isobel schnippisch. »Mein Name ist Mrs Havisham. Ich wünsche Anzeige zu erstatten gegen meinen Ehemann und zwar wegen Mordes an meinem Bruder Daniel de Burgh.«
Die Wirkung ihrer Worte hätte größer nicht sein können. Augenblicklich trat verblüfftes Schweigen ein. Man konnte fast die Läuse im Haar der Huren krabbeln hören.
»Das ist eine schwerwiegende Anschuldigung, Ma'am«, brachte der Inspector schließlich hervor, »haben Sie Beweise für Ihre Behauptung?«
»Die habe ich allerdings, beziehungsweise vielmehr Mr Armindale, den Sie hier neben mir sehen. Er hat in der Sache sowohl im Auftrag meines Vaters wie auch in meinem ermittelt.« Inspector Hunt legte die Stirn in Falten und
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