Stadt der Schuld
bedachte Armindale mit unverhohlenem Misstrauen. »Berufsspion, nehme ich an?«, sagte er abfällig. Armindale nickte knapp. Das kannte er schon. »Kommen wir zur Sache, Inspector. Allerdings würden wir es vorziehen, unsere Aussagen nicht in aller Öffentlichkeit machen zu müssen«, sagte er.
»Selbstverständlich!« Hunt führte sie in einen Nebenraum, schloss die Tür hinter sich und bot ihnen einen Platz auf schmucklosen Stühlen an.
»Der Gatte meiner Klientin ist Mr Horace Havisham«, begann Armindale gemessen, »er ist Abgeordneter der Whigs ...«
»Ich bin über die Verhältnisse und Schritte von Mr Havisham auf das Genaueste informiert«, unterbrach ihn der Inspector. »Tatsächlich lasse ich Ihren Gatten, Ma'am, seit geraumer Zeit überwachen.«
Isobel brauchte einen Moment, um sich von ihrer Überraschung zu erholen. »Sie lassen ihn überwachen? Aber warum denn?«
»Es wundert mich, dass Sie das fragen, Mrs Havisham, schließlich waren Sie es, die Mr Baker der Sodomie bezichtigte.«
Armindale glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können. »Du hast ihn ...«, entfuhr es ihm, doch dann verbesserte er sich. »Es war mir nicht bekannt, dass Mrs Havisham auch in dieser Sache tätig geworden ist.« Hunt sah ihn für einen Augenblick interessiert an. Dann sagte er: »Es war der Wunsch Mrs Havishams, dass dies strikt anonym bleibt. Verständlich, wenn Sie mich fragen.«
Isobel hielt es nicht für nötig, Armindale auch nur eines Blickes zu würdigen. »Sagen wir, ich hatte gute Gründe dafür.«
»Davon gehe ich aus, Ma'am. Was nun die Überwachung Ihres Gatten betrifft ... wir bekamen einen Hinweis von der Station in Holborn. Mr Havisham ist dort durch sein übergroßes Interesse am Schicksal des Sodomisten Baker aufgefallen. Wir vermuten, dass er ebenfalls ...«
Isobel lachte laut auf. »Sie glauben doch nicht wirklich, dass mein Mann entsprechende Neigungen hat.« Sie kicherte. »Ich versichere Ihnen, bei allem Respekt, Inspector, das ist nun wirklich nicht der Fall! Haben Sie trotz all Ihrer grandiosen Überwachungsmaßnahmen nicht bemerkt, dass sein Interesse in Wahrheit dieser verabscheuungswürdigen Person, dieser Mrs Baker, gilt?«
Armindale stellte zufrieden fest, dass Hunt ein wenig beleidigt auf diese Mitteilung reagierte. »Zu dieser Vermutung besteht nicht der geringste Anlass. Ich kann Ihnen meinerseits versichern, dass zwischen Mr Havisham und Mrs Baker zumindest im Zeitraum unserer Überwachung keinerlei Kontakt bestand. Er war zwar einige Male beim Haus der Bakers, sprach aber nur kurz an der Tür mit dem Diener.«
»So? Es beruhigt mich, das zu hören.« Isobel lächelte zufrieden. Gerade wie eine Katze, die eine Maus verschlungen hat, dachte Armindale verwundert. Was verbarg Isobel noch vor ihm? Der Beamte räusperte sich. »Was also bringt Sie nun zu der Vermutung, dass Ihr Mann sich eines derartig schändlichen Verbrechens schuldig gemacht haben könnte?«
Von einer Sekunde auf die andere wechselte der Ausdruck in Isobels Gesicht von Genugtuung zu tiefem Schmerz. Armindale kannte sie inzwischen gut genug, um zu wissen, dass sie nur Theater spielte. »Es war mein armer Vater, der diesen Verdacht äußerte. Der Gram über die Tatsache, dass er die Hand seiner einzigen Tochter nichtsahnend in die des Mörders seines Sohnes gelegt hat, brachte ihn um, wissen Sie. Er starb in meinen Armen.« Sie schluchzte leise in ihr rasch gezücktes Taschentuch. Die Tränen flossen durchaus wirkungsvoll weiter, während sie – flankiert von Armindale – alles berichtete, was sie bisher in Erfahrung gebracht hatten.
Der Inspector wiegte den Kopf. »Ich gebe zu, es besteht ein berechtigter Verdacht. Aber dennoch: Ich fürchte, eine Anklage stünde auf wackeligen Füßen.« Er wandte sich an Armindale, den Brief Havishams, den dieser ihm vorgelegt hatte, noch einmal studierend. »Dieser Trumble ist verschwunden, sagen Sie?« Armindale nickte.
»Hm. Sind Sie sicher, dass es sich bei dem Mann um einen der Tatbeteiligten handelt? Ich fürchte, dass ein Gericht sich davon kaum überzeugen ließe. Dieses Schriftstück ist so gut wie wertlos, nicht ohne den Mann selbst, oder diesen Mr Eastman.«
Armindale seufzte entnervt. »Das weiß ich selbst. Aber Eastman ist längst über alle Berge. Ich fürchte, der ist nicht mehr aufzufinden.«
»Vielleicht ließe sich wenigstens herausfinden, wohin Eastman gereist ist ...«
»Wie?«, fragte Armindale gespannt.
Hunt strich sich nachdenklich über sein
Weitere Kostenlose Bücher