Stadt der Schuld
und sah hinaus. Dann drehte sie sich jäh zu ihm um. »Sag mir, Horace, warst nicht du es, der sie so misshandelt hat, der diese schrecklichen Dinge von ihr verlangte? Sie hat mir gezeigt, was du ihr angetan hast.«
Er erbleichte. »Ich ...« Die Worte flohen von seinen Lippen und er begann zu zittern. Unten wurde heftig an die Eingangstür gehämmert und man hörte aufgeregte Männerstimmen. Erschrocken sah Meredith zur Tür und verkrampfte die Hände ineinander. Sie wirkte wie ein gejagtes Reh. »Hör mir zu, Meredith«, flehte Horace. Schwere Stiefel donnerten jetzt die hölzernen Stufen hinauf. »Es ist wahr. Ich schwöre bei Gott, ich wollte es dir sagen. Ich verabscheue mich dafür, was ich mit Isobel machte, aber ich versichere dir, ich tat es bestimmt nicht ohne ihre Zustimmung. Sie wollte es, mehr sogar als ich. Und ich schwöre, ich habe sie nicht mehr angefasst, seit wir ...«
Die Tür wurde ohne Anklopfen aufgerissen. »Horace Havisham?«
Merediths Augen weiteten sich vor Entsetzen. Horace fuhr herum.
»Was ...?«
Ein fremder Inspector trat ins Zimmer, gefolgt von zwei Sergeants und mehreren Constables. Im Nu war der Raum angefüllt mit Männern. »Ma'am«, sagte er und verbeugte sich knapp vor Meredith, »entschuldigen Sie unser rüdes Eindringen in Ihr Haus, aber die Umstände erfordern unser sofortiges Handeln.« Er nickte zu seinen Männern hinüber, die Horace rasch umstellten. »Mr Havisham, ich verhafte Sie wegen des Verdachts, den Mord an Daniel de Burgh, dem Bruder Ihrer Gattin, in Auftrag gegeben zu haben. Sie werden hiermit in Gewahrsam genommen und ins Untersuchungsgefängnis von Tothill Fields überstellt zur weiteren Beweisaufnahme, bis der Prozess gegen Sie eingeleitet wird. Es ist Ihnen erlaubt, von dort aus Kontakt zu einem Anwalt Ihrer Wahl aufzunehmen. Haben Sie das verstanden?«
Horace starrte ihn an, als habe er ein Gespenst vor sich. Das musste doch ein böser Traum sein. Warum erwachte er nicht aus diesem Albtraum?
»Nein!«, wimmerte Meredith. Sie war weiß wie die Wand.
Der Inspector streifte sie kurz mit kühlem Blick, dann wandte er sich an den Sergeant zu seiner Linken. »Lassen Sie ihn abführen.«
Die Uniformierten packten Horace grob bei den Schultern und stießen ihn zur Tür. Er wehrte sich nicht. Er wagte es auch nicht, noch einmal zu Meredith hinüberzusehen. Was hatte er nur getan?
Kapitel 42
Queens Park, 27. Februar 1841
Kapitel 42
Sie will tatsächlich herkommen«, seufzte Mary-Ann Fountley und ließ den Brief sinken, der sie eben per Boten erreicht hatte. Es schien dringend zu sein, sonst hätte Isobel den üblichen Postweg gewählt. Godfrey sah von seinem Buch auf. Nach einer anstrengenden Woche, angefüllt mit Arbeit für die League, gönnte er sich die Ruhe des Samstagnachmittags bei einem Glas Port vor dem Feuer im kleinen Salon. »Es wird sich nicht mehr vermeiden lassen, mein Schatz. Du weißt, dass deine Mutter schon mehrfach deshalb geschrieben hat. Es wäre grob ungehörig, ihr die Einladung zu verweigern, vor allem jetzt, nachdem man ihren Gatten unter dieser ungeheuerlichen Anschuldigung verhaftet hat.«
»Aber ich traue ihr einfach nicht!«, insistierte Mary-Ann erbost. »Niemals werde ich ihr verzeihen, dass sie ums Haar den Tod meiner Schwester verschuldet hätte, und dies aus reiner Missgunst.«
»Nun, vielleicht tust du ihr unrecht«, meinte ihr Gatte begütigend. »Immerhin stand die Arme damals unter einer großen Belastung. Der Vater plötzlich verarmt und sie konfrontiert damit, einen ungeliebten Mann ehelichen zu müssen ... wir sollten Verständnis haben. Deine Mutter hat in diesem Punkt möglicherweise ja einmal recht.« Er klappte sein Buch zu und zog sein Weib zu sich auf die breite Sitzgelegenheit vor dem Kamin. »Ich nehme an, sie kommt, um sich meiner Hilfe vor Gericht zu versichern, wenn ihr Gatte tatsächlich verurteilt werden sollte, was ich mir allerdings nicht vorstellen kann. Das alles muss ein Irrtum sein.« Mary-Ann schmiegte sich an ihren Mann. »Dann wirst du ihr beistehen?«
»Ich weiß, dass es dir nicht behagt, mein Liebling«, sagte Godfrey und sah sein Weib liebevoll an, »aber etwas anderes würde auf uns zurückfallen. Es gehört sich einfach, dass wir deiner Verwandten die nötige Hilfe angedeihen lassen. Das musst du doch verstehen.«
Mary-Ann presste störrisch die Lippen zusammen, doch dann nickte sie schließlich. »Nun gut, dann werden wir uns ihrer eben annehmen, jeder von uns mit den zu Gebote
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