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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
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offenbar doch schon alt genug, dass du den geilen Bock hast über dich rüberrutschen lassen, nicht wahr, Kleine?« Die Frau lachte derb.
    Mary senkte beschämt den Blick.
    »Nun tu nicht so, du scheinst ja beachtliches Talent zu haben, wie er sagt. Das wirst du uns morgen mal vorführen. Mr Ashworth wünscht ja, dass du noch unterrichtet wirst«, sagte Mrs Friwell ungerührt, um dann fortzufahren: »Das wird Edna übernehmen. Sie hat ein gutes Händchen dafür. Aber nun ein Bad und dann ab ins Bett.«

Kapitel 22
    London, 1. Dezember 1840
    Kapitel 22
    Isobel hob den Blick von dem Schreiben, das Pool ihr gerade hereingebracht hatte. »Mein Vater ...«, verkündete sie. Es dauerte etwas, bis ihr Gatte eine Reaktion zeigte. Tief in Gedanken – wie meistens, seit er von seiner Reise zurückgekehrt war – saß er ihr am Frühstückstisch gegenüber. Das war der einzige Zeitpunkt des Tages, an dem sie ihn neuerdings noch zu Gesicht bekam, ansonsten ging er ihr aus dem Weg, geschweige denn, dass er ihr Schlafzimmer aufsuchte. Sie wusste genau, dass ihr die Zügel endgültig aus der Hand geglitten waren.
    »Was ist mit ihm?«, fragte er nun doch.
    »Es wundert mich, dass dich das überhaupt interessiert«, versetzte sie bissig, »du hast es ja in letzter Zeit nicht mehr für nötig befunden, dich um überhaupt irgendetwas, was mich betrifft, zu kümmern.«
    Er wich ihrem Blick aus, atmete tief durch und schob dann den Stuhl zurück, um sich zu erheben. Offenbar legte er auch jetzt keinerlei Wert auf eine Auseinandersetzung mit ihr.
    »Du bleibst sitzen, Horace!«, fauchte Isobel böse.
    Seine blaugrauen Augen fixierten sie gleichmütig. Was war nur mit ihm los? Kaum dass er seinen Pflichten als Abgeordneter in den letzten Tagen wieder nachgekommen war. Vielleicht wurde er ja doch verrückt? »Mein Vater ist schon seit längerer Zeit schwer krank«, teilte sie ihm barsch mit.
    Horace zuckte überraschenderweise zusammen. »Warum hat man mir nicht davon berichtet?«
    Isobel lachte spöttisch. »Als ob du es hättest wissen wollen! Tu doch nicht so, Horace! Du hast meinen Vater ohne zu zögern von seinem Besitz vertrieben. Damals hat es dich auch nicht interessiert, wie er das aufnahm.«
    »Nun, du hattest allerdings auch herzlich wenig dagegen einzuwenden gehabt!« Ein wenig flackerte seine alte Kämpfernatur noch doch auf.
    »Wie hätte ich mich dagegen wehren sollen, Horace? Immerhin bist du der Mann im Haus und ich muss mich als deine Ehefrau den Entscheidungen fügen, die du zu treffen beliebst. Das hast du mir ja oft genug deutlich zu verstehen gegeben, nicht wahr?«
    Havisham kommentierte ihre Worte mit nichts als einem spöttischen Lachen und doch vermied er es, ihr in die Augen zu sehen. Fahrig griff er nach der zusammengeknüllten Serviette neben seinem Teller. »Was ist mit deinem Vater?«, fragte er noch einmal.
    Isobel ließ ihren Blick müßig über die wenigen Zeilen der Haushälterin ihres Vaters gleiten, bevor sie geruhte, ihm zu antworten. »Man bittet mich, ihn aufzusuchen. Es ginge zu Ende mit ihm, steht hier, und er wolle mich noch einmal sehen.«
    »Was?!«
    »Er hat Rückenmarkstuberkulose, damit du es weißt. Der Verlauf war abzusehen. Es ging ihm schon vor Wochen sehr schlecht. Letztlich ist es wohl eine Erlösung für ihn.«
    Erstaunlicherweise schien er ehrlich erschüttert über die Nachricht. »Dann sollten wir sofort aufbrechen. Du hättest mir das wirklich mitteilen sollen. Vielleicht hätte ich etwas für ihn tun können. Hat er denn vernünftige Ärzte, gute Pflege?«
    Isobel sah ihren Ehemann konsterniert an. Woher kam diese plötzliche Fürsorge? Es schien fast, als habe er ein schlechtes Gewissen. Armindales Worte kamen ihr in den Sinn. Doch es war gewiss alles andere als günstig, wenn Havisham ahnte, dass man ihm auf den Fersen war. Sollte ihr Vater noch einen wachen Moment haben, würde er Verwünschungen gegen den mutmaßlichen Mörder seines Sohnes ausstoßen – und dann würde Havisham sicher alles daransetzen, die Spuren, die sie für Armindale zu entdecken hoffte, endgültig zu verwischen. Das musste sie unbedingt verhindern.
    »Ich glaube nicht, dass mein Vater ausgerechnet dich sehen will«, sagte sie spitz und hoffte, dass er nicht weiter darauf bestand, sie zu begleiten.
    »Ja, vermutlich will er mich nicht sehen. Ich habe ihm übel mitgespielt, das ist wahr«, gab Havisham zerknirscht und in unumwundener Offenheit zu. Isobel kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Er musste

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