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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
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trat sie mit dem Fuß gegen den Schreibtisch.
    In diesem Augenblick ging die Tür auf und Blidge, Havishams Kammerdiener, trat ein. Sichtlich überrascht sah er sie an. »Madam? Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
    »Ich ... äh, nein ...« Sie stand auf. »Ich habe heute Morgen ganz vergessen, meinen Gatten zu fragen, wo er den Tag verbringen wird. Er bat mich, angesichts meiner dringenden familiären Verpflichtungen, ihm heute im Laufe des Tages eine Nachricht zukommen zu lassen, und so ... äh ... hoffte ich, ich würde vielleicht auf seinem Schreibtisch einen Hinweis über seinen Verbleib finden«, log sie, sich im selben Augenblick darüber klar werdend, dass dies eine wirklich grandios dumme Ausrede war. Der konsternierte Blick des Kammerdieners bestätigte ihre Ahnung umgehend. Sie hätte sich ohrfeigen können. Warum hatte sie sich nicht schon vor Betreten des Zimmers etwas Besseres als Ausrede überlegt? Zum Spion eignete sie sich wohl weniger, als sie gedacht hatte.
    Der Leibdiener ihres Mannes räusperte sich in vollendeter Würde. »Madam, der Herr beliebt heute eine wichtige Besprechung in den Parteiräumen der Whigs abzuhalten, im Parlament selbstverständlich. Wenn Sie ihm eine Nachricht zukommen lassen wollen, wird Mr Pool das sicher gerne in die Wege leiten. Soll ich ihn rufen, Madam?«
    »Nein, lassen Sie nur!«, sagte Isobel hastig. »Ich muss nun ohnehin meinerseits umgehend aufbrechen und werde vermutlich erst gegen Abend zurückkommen.«
    »Sehr wohl, Madam!«
    Isobel verließ schleunigst das Arbeitszimmer ihres Mannes. Es entging ihr nicht, dass Blidge demonstrativ abwartete, bis sie gegangen war. Der Mann hatte Verdacht geschöpft und sie hatte keinen Zweifel daran, dass er Havisham über ihr Eindringen in dessen Privaträume in Kenntnis setzen würde. Sie musste sich etwas einfallen lassen und vor allem noch einmal mit Armindale sprechen. Zum Donnerwetter! So einfach, wie er sich das vorgestellt hatte, ging es eben nicht.

Kapitel 23
    Kapitel 23
    Ob er heute endlich Nachricht bekommen würde? Havisham sah aus den regennassen, hohen Fenstern des holzgetäfelten Raums. Die munteren Gespräche mit einigen ausgewählten jungen Torys und Vertretern des liberalen Flügels der Whigs, die nun schon einige Stunden dauerten, verkamen zu einem bedeutungslosen Hintergrundgeräusch, während seine Gedanken, wie so oft, zu Meredith wanderten. Wie es ihr wohl ging? Was hätte er darum gegeben, jetzt bei ihr zu sein! Die Sehnsucht nach ihr zerriss ihn förmlich. Vor drei Tagen bei der offiziellen Trauerfeier für Joseph Baker hatte er mit Rupert und Meredith das letzte Mal gesprochen. Eigentlich war es vielmehr Rupert gewesen, der ihn kurz zur Seite genommen und ihm zugeraunt hatte, dass er sehr bald von ihm hören werde, er solle sich noch ein wenig gedulden. Noch sei Meredith einfach zu sehr vom Schmerz über den Verlust überwältigt, aber bald schon, dessen sei er, Rupert, sich sicher, würde es ihr wieder besser gehen. Und nein, so hatte er auf Horaces flehentliches Drängen geantwortet, er, Havisham, könne nun einmal in der Zwischenzeit nichts tun, als geduldig abzuwarten. Meredith liebe ihn von Herzen, brauche aber einfach noch etwas Zeit, um alles zu verkraften. Horace hatte sich, so schmerzlich das auch für ihn war, damit zufrieden geben müssen. Seitdem wartete er auf die erlösende Nachricht von Rupert. Doch die kam nicht!
    Stattdessen nun die Hiobsbotschaft von de Burgh! Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Wenn er doch nur schon eher gewusst hätte, dass es so schlecht um seinen Schwiegervater stand. Dann hätte er doch längst ... Ja, was hätte er dann getan? Die schreckliche Tat, derer er sich gegenüber de Burgh schuldig gemacht hatte, war mit nichts zu tilgen. Und wenn er sich noch so oft versuchte das Gegenteil einzureden, so wusste er doch, dass das sinnlos war. Er, Horace Havisham, hatte sich in bedenkenloser Gier eines feigen Mordes schuldig gemacht – und Mördern gebührte der Strang. So einfach war das! Er spürte, wie eine kalte Angst in ihm hochkroch und ihm den Atem abdrückte. Oh, er kannte sie inzwischen nur zu gut, diese Angst. Sie teilte des Nachts das Bett mit ihm, wenn er sich schlaflos in seinen seidenen Laken wälzte. Sie hockte auf seinem Schreibtisch und starrte ihn an mit bohrendem Blick, wenn er sich seinen Geschäften zu widmen versuchte. Sie wies mit ausgestrecktem Finger auf ihn im Kreise der Parlamentarier. Havisham fuhr sich über die Augen und versuchte,

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