Stadt der tausend Sonnen
Königin! Die Königin? Wissen Sie, wer ich bin?« sagte die große Frau erneut drohend. »Sorgt endlich dafür, daß er ruhig ist!« brüllte sie, als der Arzt weiter um Hilfe wimmerte. Wieder fummelte sie an ihrem Bettuch herum.
Der Polizist versuchte immer noch, sich von dem Mädchen zu befreien, als er ein Kichern in seinem linken Ohr hörte. Er drehte sich mehr instinktiv als interessiert um. Der Schwammige hieb ihm die Faust ins Gesicht, dann versetzte er ihm einen Handkantenschlag auf den Nacken.
»Sie haben es mir gestohlen!« kreischte die große Frau, während der Polizist bewußtlos aus der Umarmung des Mädchens glitt.
»Ihr – ihr wißt ja nicht, was ihr tut!« schrie der Arzt. Er war nun schon fast auf den Füßen. »Bitte, laßt mich euch irgendwo hinbringen, wo man euch helfen kann. Hört auf mich, kommt mit …«
»Wann kümmert ihr euch endlich darum, daß er den Mund hält?« brüllte die große Frau. »Wie soll ich es bei diesem Geschrei finden?«
Grinsend zerrte der Schwammige die schlaffe Gestalt des Polizisten über das überschwemmte Pflaster. Wasser planschte unter seinen nackten Füßen. Als er den Arzt erreicht hatte, legte er den Kopf schief, blinzelte wie ein verwirrter Affe, dann stieß er ihn in die Kniekehlen, daß er wieder vornüber auf den Boden fiel. Schmerzerfüllt schrie der Arzt auf.
»Ruhe!« schrillte die Frau. Sie schüttelte das nasse Tuch von ihren Armen und wirbelte unter der Lampe herum.
Der Schwammige kniete sich ins Wasser und umklammerte mit einer Hand den Hals des bewußtlosen Polizisten und mit dem anderen den Hals des verstörten Arztes. Er hob sie hoch und starrte abwechselnd in die beiden Gesichter, eines schlaff und blutend, das andere keuchend und blau angelaufen. Schließlich drückte er beide Gesichter unter das Wasser und hielt sie fest.
Der Arzt zappelte noch eine Weile.
Schluchzend beugte sich der Bursche mit dem langen Haar über den glänzenden Gummiumhang und zerrte daran, bis er sich löste. Aus dem Gürtel des Polizisten zog er etwas Langes, Dünnes und richtete es himmelwärts. Mit seinem schmutzigen Daumen drückte er auf einen Knopf am Griff, und Funken sprühten die Doppelzacken der Energieklinge entlang.
Finger mit angeknabberten Nägeln gaben die leblosen Hälse frei, als der Schwammige das Gesicht im Licht verzerrte. Seine Lippen schoben sich von einem gebrochenen Zahn zurück, und seine Augenwinkel knitterten wie Papier.
Die junge Frau hörte zu stöhnen auf, und selbst die alte blickte hoch und bemühte sich, den Blechreifen auf ihrem Kopf zurechtzurücken. »Das«, erklärte sie, nachdem sie Luft geholt hatte, »ist es zweifellos nicht. Doch das macht nichts. Nimm es trotzdem mit. Jemand hat es mir gestohlen, dessen bin ich sicher. Aber macht euch deshalb keine Gedanken, wir werden es finden. Kommt, endlich.«
»Hier durch«, sagte Jon und deutete auf die Gasse.
»Was ist mit dem Wasserrohrbruch?« gab Alter zu bedenken.
»Die Überschwemmung kann nicht zu schlimm sein. Sie haben so gut wie alle anderen Straßen zum Pier gesperrt. Wir müßten einen Umweg um den ganzen Flughafen machen.«
»Na ja, falls es zu tief wird, können wir ja schwimmen.« Alter lächelte.
»Also komm.« Einen Block weiter glitzerte Licht auf der überfluteten Gasse. Das Wasser sah wie Glas aus. Als sie die Ecke erreichten, hielt Jon an und legte eine Hand auf Alters Schultern. Sie blickte ihn fragend an. Seine Antwort war ein leichtes Heben seines Kinnes. Sie folgte seinem Blick und lauschte. In der Ferne hörte man das Platschen vieler Füße im Wasser.
»Dissis?« fragte Alter.
»Wir müssen weiter.« Aber als sie die nächste Ecke erreichten, hielten sie erneut an. Jemand kam aus einer Querstraße in ihre Richtung. Als erstes näherte sich ein weißes Feuer, etwa einen halben Block entfernt.
Wieder legte Jon eine Hand auf Alters Schulter. Überrascht wandte sie sich ihm zu. »Was ist …« Dann drehte sie sich um, um selbst zu sehen. Das Platschen wurde lauter, das weiße Feuer zur eingeschalteten Energieklinge in den Händen eines jungen Burschen, auf dessen Pyjama »Station 739« zu lesen war. Hinter ihm wateten ein Dutzend Gestalten her, deren Augen alle auf das Licht der Klinge gerichtet waren.
Die Reaktion des einzelnen hängt manchmal vom reinen Zufall ab. In diesem Fall galt es entweder weiterzugehen oder davonzulaufen, zu lachen oder die Stirn zu runzeln. Das Stadtviertel hier war für seine Dissiüberfälle bekannt. Aber diese
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