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Stadt der tausend Sonnen

Stadt der tausend Sonnen

Titel: Stadt der tausend Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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sie. »Und dann über das Transitband hin und zurück, gleich am Anfang dieser ganzen Sache. Nicht öfter.« Sie wartete, bis sein Lächeln, das sie spürte, ohne es zu sehen, zu einem weichen Lachen wurde.
    »Ich machte sie das erstemal, als man mich ins Straflager transportierte. Zurück kam ich über das Transitband. Das zweitemal, als wir Let in den Wald brachten, und drei Jahre später, als wir ihn zurückholten.« Er drehte sich ihr zu – den Schatten, die ihre Augen waren, dem weißen, jetzt mondversilberten Haar, das sich an ihre Ohren schmiegte. »Und nun machen wir sie gemeinsam – allein zusammen.« Eine höhere Welle sprühte Gischt in ihre Gesichter.
    »Was ist es, allein oder mit jemandem zu sein?« fragte sie.
    »Wichtiger«, sagte er und fühlte, daß er ihre Gedanken präziser als sie ausdrückte, »weshalb fühlt man sich manchmal allein mit jemandem, und manchmal – nicht allein?«
    Der gesenkte Kopf, die Bewegung eines Wangenmuskels verrieten, daß es ihr Gedanke war.
    »Wenn ich die Antwort darauf wüßte …« Aber er wußte nicht, was er tun würde, und dachte: Vielleicht wäre das, was ich täte, die Antwort?
    »Erinnerst du dich, als wir die Gedichte lasen?« fragte sie. »Da waren wir doch irgendwie innerlich aufgewühlt und miteinander verbunden.«
    Er nickte.
    »Was war das Gedicht, aus dem wir nicht klar wurden?«
    »Etwas über Einsamkeit«, erwiderte er. »Aber ich kann mich an den Anfang nicht erinnern.«
    »Ich schon.« Sie begann: »Vieldeutig, besessen und frei wie große Verzweiflung ist große Ruhe …«
    Da fuhr eine Stimme hinter ihnen fort, und sie drehten sich um.
    »Schrei in den Geschöpfen der geschändeten Nacht; blick zurück, Poet, auf die uralten Träume, wenn Tränen im Mondlicht zur See hinabfallen … An mehr kann ich mich nicht erinnern.«
    »Wo haben Sie das gehört?« fragte Jon.
    Statt einer Antwort trat eine Gestalt aus den Schatten der Kajüte in den Mond. Ihr Kopf war ein stopplig behaartes, runzliges Ei mit Augen, Mund und Nase. »An mehr kann ich mich nicht erinnern«, wiederholte der alte Mann. »Wie ging es weiter?«
    »Einsame Menschen«, fuhr Jon fort, »schleppen sich im Rauschen der Wogen über den endlosen sandigen Strand. Trübsal oder Freude, eins und gleich, beschleunigen meine Schritte.«
    Der Matrose sog die Luft zwischen den Zähnen ein, schüttelte den Kopf und kratzte den Bauch mit dem Daumen. »Das gefällt mir.«
    »Wo haben Sie es gehört?« fragte Jon erneut.
    Der alte Seemann legte den Kopf schief. »Weshalb wollen Sie das denn wissen?« fragte er gedehnt. Er hörte auf sich zu kratzen und deutete mit einem Finger auf sie. »Wo haben Sie es denn gehört?«
    »Wir haben es gelesen«, antwortete Alter. »Bitte, sagen Sie es uns doch.«
    Er zuckte die Schultern und lehnte sich an die Reling. »Sie tun, als wäre es schrecklich wichtig. Der Junge bei dem komischen Paar sagte es auf. Er behauptete, er hätte es selbst geschrieben.«
    »Ein Junge und ein Mann und eine Frau?«
    »Er war vielleicht einundzwanzig oder auch älter. Für mich war das ein Junge. Alle drei machten die Fahrt. Sie blieben die meiste Zeit in ihren Kabinen. Der Mann trug die ganze Zeit eine Kapuze. Aber der Junge war ständig an Deck, unterhielt sich mit allen und sagte seine Gedichte auf. Das war eines davon.«
    »Catham trägt natürlich eine Kapuze, um die Plastikhälfte seines Gesichts zu verbergen, wenn er keine Zeit mehr gehabt hat, Vivaschaum mitzunehmen«, meinte Jon.
    »Kein Wunder, daß kein Hubschrauberabflug zum Festland registriert war. Sie müssen ihn in der Stadt abgestellt und das Schiff genommen haben.« Sie hielt inne. »Jon, er sagte, Nonik unterhielt sich mit allen, war aufgeregt und glücklich. Das kann doch kaum auf jemanden zutreffen, dessen Frau gerade erst …«
    »Ich habe überhaupt nichts von glücklich gesagt«, unterbrach sie der Matrose. »Das haben Sie gesagt. Er war eher hysterisch. Er stellte allen seltsame Fragen, und dann wartete er auf eine Antwort, wie ein junger Hund, dem man gerade auf den Schwanz getreten hat. Aber manchmal ist er einfach davon, ohne den anderen aussprechen zu lassen.«
    »Das klingt schon eher wie er«, murmelte Jon. »Wie lange ist es her?«
    »Es war an dem Tag, als das Kriegsministerium in Toron bombardiert worden war.«
    »Also sind sie auch aufs Festland. Wo sind sie an Land gegangen?«
    »Das Schiff hält nur einmal an der Küste. Sie sind da ausgestiegen, wo Sie es in zwei Stunden auch tun

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