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Stadt der tausend Sonnen

Stadt der tausend Sonnen

Titel: Stadt der tausend Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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geht Ihnen denn ab?« erkundigte sich Alter.
    »Ich – ich kann mich nicht entsinnen!« wimmerte die Königin.
    »Sie müssen weiter danach suchen«, wisperte Alter.
    Sofort begann die Königin erneut in dem zerknitterten Bettuch zu fummeln, das ihr als Gewand diente. »Ich weiß, daß ich es vor kurzem noch hatte, Sie nahmen mir meine Krone, das Zepter, ja selbst meine … Oh, ich kann es nirgends finden …«
    »Sogar Ihre Taschen«, sagte Alter leise.
    »Sogar meine Taschen«, wiederholte die Königin und betastete weiter suchend das Bettuch. »Alles, was aristokratisch war, haben sie mir genommen. Niemand glaubt mir. Ich muß eine Blechkrone tragen! Alles haben sie mir genommen …« Eine Sehne zitterte am faltigen Hals. Ihre Augen wurden feucht. Sie hob die blitzende Klinge und drehte sich erneut zu Jon um. »Er hat es gestohlen! Ich weiß, daß er es war! Wenn er es mir nicht sofort zurückgibt …«
    Die Hände, die sie gehalten hatten, hatten sich inzwischen gelöst. Alter machte einen Satz und befreite Jon aus der Umarmung des gurrenden Mädchens. Sie fiel auf die Knie und blickte zu der Königin hoch. »Wollen Sie nicht wenigstens einmal etwas Gutes in Ihrem Leben tun? Lassen Sie ihn in Ruhe!« Die Klinge verharrte. In der plötzlichen Stille hörte Alter das Planschen hastiger Schritte, als jemand die Straße hochfloh. Vermutlich ein Dissi, der die Szene von der Straßenecke aus beobachtet hatte, und der nun trotz seiner eigenen Brutalität vor diesem Wahnsinn die Flucht ergriff. »Eure Majestät«, sagte sie erneut und schob den anderen Gedanken zur Seite. »Verletzen Sie diesen Mann nicht. Sie sind die Königin. Ich sollte Ihnen doch nicht sagen müssen, wie wenig würdig es einer Königin ist, einen solchen Unmut zu zeigen, wenn überhaupt kein Anlaß von Seiten dieses Mannes dafür gegeben ist. Wenn Sie die Königin sind, dann zeigen Sie Erbarmen.«
    »Ich – ich bin die Königin?« Die Feststellung wurde beim letzten Wort zur schrillen Frage und endete schließlich in einem durchdringenden Wimmern. Tränen troffen aus den runzligen Lidern. »Ich erinnere mich!« rief sie. Die Energieklinge fiel ins Wasser, zischender Dampf stieg auf, und sie war kurzgeschlossen. »Ich erinnere mich jetzt. Es war das Bild!« Sie wich einen Schritt zurück. »Das Bild meines Sohnes!«
    Langsam drehte sie sich um. Ihre Stimme, die an niemanden im besonderen gerichtet war, klang zu ihnen zurück, als sie die Straße aufwärts watete und die anderen ihr zu folgen begannen. »Ich hatte zwei Söhne. Sie stahlen mir den Jüngsten und ermordeten meinen Ältesten. Aber ich besaß ein Bild, ein Miniaturbild mit einem Metallrahmen von der Größe meiner Hand – ein Bild meines Sohnes. Es war von der Art, wie die Straßenhändler sie für eine halbe Einheit in der Hafengegend verkaufen. Aber sie haben es mir gestohlen! Alles nahmen sie mir fort …«
    Der Schwammige watschelte hinter ihr her. Der Bursche mit den ins Gesicht hängenden Strähnen hob die kurzgeschlossene Klinge auf und richtete sie gegen den Himmel. Das Mädchen begann erneut zu gurren. Sie folgte ihnen und mit ihr auch der Rest. Nach und nach verschwanden sie in der Gasse.
    Jon rührte sich. Als er sich aufsetzte, drückte Alter ihr Gesicht gegen sein feuchtes Hemd. Ihr Atem kam heftig keuchend. »Jon – du hast sie nicht gesehen …«
    Sein Arm legte sich um ihre Schultern. »Doch. So lange war ich nicht besinnungslos. Die letzten zwei Minuten habe ich mitbekommen.«
    »Mit ihr zu sprechen, ohne zu schreien, war das Schwerste, das ich je getan habe.«
    Jon stand auf. »Ich bin froh, daß du es fertiggebracht hast. Aber jetzt müssen wir zusehen, daß wir das Schiff noch erreichen. Komm, entspann dich«, fügte er hinzu. »Du kannst deinen Ellbogen jetzt wieder loslassen. Wir sind in Sicherheit.«
    Alter atmete tief und blickte auf ihre linke Hand, die immer noch krampfhaft den rechten Ellbogen umklammerte. »Ja«, murmelte sie.
     
    Sie erreichten das Kopf Steinpflaster des Hafens, als der Mond sein flockiges Silber auf das schwachbewegte Wasser verteilte. Gerade noch rechtzeitig rannten sie an Bord des Tetronfrachters, der unmittelbar darauf ablegte. Nebeneinander lehnten sie sich an die Reling. Sie blickten einander in die Augen, dann zu den immer weiter zurückbleibenden Türmen der Stadt, und schließlich auf die wogende, mondbeschienene See.
    »Wie oft hast du diese Fahrt zum Festland schon gemacht?« fragte Jon.
    »Zweimal, mit dem Zirkus«, erwiderte

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