Stadt des Schweigens
„Nachdem Karl gegangen war, hat sich alles verändert. Sie ist nicht glücklich. Keines meiner Kinder ist …“
Lilah hatte sagen wollen, dass keines ihrer Kinder glücklich war. Bei Hunter konnte Avery es verstehen, zum Teil auch bei Cherry. Aber warum war Matt nicht glücklich?
Sie langte hinüber und drückte Lilah die Hand. „Das Glück kommt und geht wie die Gezeiten im Meer. Manchmal ist es einfach da und dann wieder ist es nicht zu entdecken.“
Lilah erwiderte den Händedruck. „Du bist ein liebes Mädchen, Avery. Danke.“
„Da wären wir“, sagte Cherry und trug ein Tablett mit zwei Gläsern Tee, einer Zuckerdose und einem Teller mit Keksen herein. Jedes Glas war mit einer Zitronenscheibe und einem Minzezweig dekoriert.
Sie stellte das Tablett auf den Couchtisch. Avery sah, dass die Kekse auf einem herzförmigen Deckchen kunstvoll zum Fächer ausgelegt waren. „Wie hübsch. Cherry, du hast wirklich Talent.“
Sie errötete vor Freude. „Das ist nichts Besonderes.“
„Für dich vielleicht nicht. Ich würde mich dabei ziemlich dümmlich anstellen.“
„Lieb, dass du das sagst.“
„Ich bin nur ehrlich. Setz dich zu uns.“
„Würde ich gerne, aber ich muss heute Nachmittag noch einiges erledigen. Und wenn ich jetzt nicht anfange, wird es zu spät.“ Sie wandte sich an ihre Mutter. „Wenn du sonst nichts brauchst, mache ich mich an die Arbeit.“
Lilah entließ sie mit einer winkenden Geste, und danach unterhielt sie sich mit Avery über Unbedeutendes wie das Wetter. Als die Unterhaltung ein wenig stockte, brachte Avery das Thema zur Sprache, das ihr am Herzen lag. „Buddy erzählte mir, dass du in den Achtzigern zu einer Bürgerinitiative gehört hast, die sich ,Sieben Bürger in Sorge’ nannte.“
Sie zog die Brauen zusammen. „Warum hat er das denn erzählt?“
„Wir sprachen über Cypress Springs und dass es eine lebenswerte Stadt ist.“ Sie nahm sich einen Keks und legte ihn auf ihre Serviette, ohne ihn zu kosten. „Er sagte, ihr hättet einen wirklichen Wandel in der Gemeinde bewirkt.“
„Das waren schwierige Zeiten damals.“ Lilah strich sich die Serviette im Schoß glatt. „Aber das ist längst Geschichte.“
Avery ignorierte ihren offenkundigen Wunsch, das Thema zu wechseln. „Er sagte, Pastor Dastugue hätte auch mitgemacht. Wer hat sonst noch zu der Gruppe Die Sieben gehört?“
„Was sagst du da?“
„Die Sieben, wer sonst…?“
„Wir nannten uns nicht Die Sieben“, korrigierte sie scharf. „Sondern BIS, ,Bürger in Sorge’.“
Avery merkte, dass sie einen empfindlichen Nerv getroffen hatte. Trotz leichter Gewissensbisse fuhr sie fort: „Tut mir Leid, Lilah, ich wollte dich nicht aufregen.“
„Hast du nicht.“ Sie strich immer wieder über die Serviette. „Natürlich nicht.“
„Gab es noch eine Gruppe, die sich Die Sieben nannte?“
„Nein. Wie kommst du darauf?“
„Durch deine Reaktion. Es sah so aus, als wolltest du nicht mit denen in Verbindung gebracht werden.“
Lilah machte sich wieder an der Serviette zu schaffen. „Das ist albern, Avery, wirklich sehr albern.“
„Ich bin heute Morgen bei der Gazette gewesen. Rickey Plaquamine hat mir einen Job angeboten.“
„Fantastisch!“ Lilah beugte sich begeistert vor. „Und? Hast du ihn angenommen?“
„Ich habe ihm gesagt, dass ich drüber nachdenke.“
Sie tat enttäuscht, doch Avery merkte, wie froh sie war, dass sie das Angebot nicht rundheraus abgelehnt hatte.
„Wir wären alle begeistert, wenn du dich entschließen könntest, wieder in Cypress Springs zu leben. Vor allem Matt.“ Sie führte ihren Tee zum Mund, trank und betupfte sich die Lippen mit der Serviette. „Buddy hat mir erzählt, wie gut du dich auf dem Frühlingsfest mit Matt amüsiert hast.“
Avery dachte an ihren Tanz unter dem Sternenhimmel. Sie hatte sich wohl und entspannt gefühlt. Obwohl sie Matt seither nicht mehr begegnet war, rief er jeden Tag an, um sich nach ihr zu erkundigen.
„Ja, wir hatten viel Spaß.“
Mehr sagte sie nicht, obwohl sie spürte, dass Lilah Einzelheiten hören wollte und vor allem Averys Zusicherung über eine gemeinsame Zukunft mit Matt, die sie jedoch unmöglich geben konnte.
„Rickey sah gut aus. Er sagte, er und Jeanette hätten gerade ihr drittes Kind bekommen.“
„Einen hübschen, dicken Jungen. Alle ihre Babys waren dick.“ Lilah beugte sich augenzwinkernd vor. „Das liegt an der vielen Eiscreme, die Jeanette im letzten Drittel der Schwangerschaft
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