Stadt des Schweigens
erschütternd. In den letzten acht Monaten gab es zehn unerwartete Todesfälle. Elaine St. Claire, Trudy Pruitt, McDougal und Lancaster nicht mitgezählt. Das sind eine Menge Tote für einen Ort von neunhundert Einwohnern.“
„Unfälle passieren nun mal.“
„Nicht in dieser Häufung. Gwen behauptet, Die Sieben seien für den Tod ihres Bruders verantwortlich, weil er der Gruppe durch seine Recherchen auf die Spur gekommen ist.“
„Und dann hat sie dich geködert, indem sie andeutete, die hätten auch deinen Vater auf dem Gewissen.“
Sie wich seinem Blick nicht aus, obwohl sie Mitleid darin las.
„Ja.“
„Avery, diese Frau hat versucht, sich als Tochter deines Vaters auszugeben. Sagt dir das nicht etwas?“
„Ich weiß, ich habe zuerst auch so gedacht, aber …“ „Aber du willst ihr glauben.“ „Nein, das ist nicht der Punkt.“
„Hast du mit Dad darüber gesprochen?“
„Ich habe ihn nach der Sieben gefragt. Er bestreitet, dass es eine solche Gruppe gegeben hat oder gibt, die solche Verbrechen begehen könnte.“
„Aber du glaubst ihm nicht?“
Auch nur über diese Frage nachzudenken, kam einem Verrat gleich. „Das ist es nicht. Ich denke nur … ich könnte mir denken, dass er darüber nicht informiert ist.“
„Dad? Über irgendetwas nicht informiert, was hier abläuft?“
„Hunter, als ich nach Cypress Springs zurückkam, war mein erster Gedanke, dass sich die Stadt nicht verändert hat. Als wäre hier die Zeit stehen geblieben.“ Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: „Seither ist mir immer wieder aufgefallen, dass alles gleich geblieben ist. Sieh mal ins Telefonbuch. Wie viele Namen erkennst du noch? Alle. Hier leben dieselben Leute wie zu unserer Kinderzeit.“
„Auf was willst du hinaus?“
„Was ist notwendig, um sich dem Lauf der Zeit zu widersetzen? Was muss man dafür tun?“
Hunter schwieg lange, wobei sein Mienenspiel nicht verriet, was er dachte. Schließlich sagte er vorsichtig: „Avery, ich möchte, dass du über eines gründlich nachdenkst. Was bringt es dir, wenn du deinen Verdacht beweist?“
„Ich verstehe nicht.“
„Falls dein Dad von dieser … dieser Sieben umgebracht wurde, was bringt es dir, das zu wissen?“
Sie wollte schon erwidern, dass es ihr gar nichts brachte, unterließ es jedoch.
Falls er nicht Selbstmord begangen hat, nimmt mir das mein Schuldgefühl.
Zornig erwiderte sie: „Du denkst, es wäre mir lieber, wenn Dad ermordet worden wäre? Du denkst, ich möchte, dass Cypress Springs eine Mörder- und Extremistengrube ist?“ Seine Miene sagte alles.
„Das wünsche ich mir ganz und gar nicht. Wie schrecklich, wie …“ Sie musste nach den richtigen Worten suchen und war nicht sicher, ob sie ihn überzeugen wollte oder sich selbst. „Ich war hier immer eine Außenseiterin, Hunter. Ich habe nicht nach Cypress Springs gepasst und hatte auch nie das Gefühl, hierher zu gehören. Aber jetzt habe ich dieses Gefühl. Heute kommt mir Cypress Springs wie eine Heimat vor.“
Hunter stand auf, kam zu ihr und nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände. „Trauer lässt uns die Realität manchmal verzerrt sehen.“
„Ich weiß, aber …“
„Tu dir das nicht an, Avery.“
„Ich muss es herausfinden. Weil ich Gewissheit brauche. Ich wünschte, ich könnte blind vertrauen, aber das geht nicht.“
„Wenn das so ist, hol dir die Beweise, von Schuld oder Unschuld.“
36. KAPITEL
Gwen blickte auf die Uhr am Armaturenbrett. Die gelben Ziffern zeigten 22:45. Angst zog ihr den Magen zusammen. Sie umfasste das Steuer fester, die Handflächen feucht auf dem glatten Vinyl.
Die Frau hat mich gewarnt, nur ja allein zu kommen. Sie hat Informationen über Die Sieben von früher und heute versprochen. Und über Tom.
Gwen gestand sich ein, dass sie eine Heidenangst hatte. Zitternd presste sie die Lippen zusammen. Tom war auch nach so einem Treffen verschwunden. Jemand hatte ihm Informationen versprochen. Genau wie bei ihr war der Treffpunkt zu später Stunde festgelegt worden an einem einsamen Ort, auf einer nicht namentlich benannten Landstraße.
Wenn es nicht um Tom ginge, wäre ich nicht hier. Ich würde einfach weiterfahren und erst in New Orleans wieder anhalten.
Allmählich hasste sie Cypress Springs mit seinen malerischen Gebäuden, dem Stadtplatz und den Menschen mit ihrem freundlichen Lächeln, das Vorurteile und Argwohn verbarg. Sie verabscheute den sauren Geruch, der die Stadt einhüllte, wenn der Wind aus Süden wehte, und die Art, wie
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