Stadt des Schweigens
war sie aus einem besonders dauerhaften Holz gebaut, wahrscheinlich Zypresse.
Sie hielt den Wagen an und blickte sich suchend nach Anzeichen von Leben um. Nichts zu sehen. Kein Licht, kein Auto, keine Bewegung. Sie öffnete das Fenster einen Spalt, schaltete den Motor aus und lauschte. Insekten summten herum, eine Eule rief, und Frösche quakten. Ein Tier huschte durchs Unterholz.
Doch nichts wies auf die Anwesenheit eines Menschen hin.
Show time. Zeit, sich zu zeigen.
Gwen atmete tief durch. Ihr Herz hämmerte gegen den Brustkasten, und sie bemühte sich, ruhiger zu werden. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren, damit sie geistesgegenwärtig blieb. Wie sollte sie einen Killer überlisten, wenn sie nicht mehr klar denken konnte? Wie sollte sie notfalls zielen, wenn ihr die Hände zitterten?
Gwen zog die Jacke über und griff in die rechte Tasche, um sich zu vergewissern, dass die Waffe da war. Das Metall lag glatt und kühl an den Fingern.
Als sie die Wagentür öffnete, ließ sie die Schlüssel im Zündschloss stecken, falls sie schnell flüchten musste. Sie wusste, dass sie sehr vorsichtig sein musste.
Sie stieg aus. Der Wind bewegte die noch kahlen Äste der Eichen und Gummibäume, ein Geräusch, das auf sie wirkte wie das Kratzen von Nägeln auf einer Schiefertafel.
Fröstelnd rieb sie sich die Arme, um die Gänsehaut loszuwerden. „Hallo!“ rief sie. Eine Eule erwiderte ihren Gruß. Gwen wartete. Die Minuten verstrichen, und sie richtete den Blick auf die Jagdhütte.
Meine Anruferin ist vielleicht da drin und wartet. Sie ist vielleicht tot wie Trudy Pruitt.
Gwen wusste nicht, warum ihr dieser Gedanke kam, aber nun setzte er sich fest und ließ sich nicht mehr verdrängen.
Die Zeit verging. Es wurde viertel nach elf und schließlich halb zwölf.
Dann Mitternacht.
Tu es. Überprüfe die Jagdhütte.
Oder hau ab und bleibe im Ungewissen.
Sie wandte sich dem Gebäude zu, die Knie weich vor Angst. Trotzdem brachte sie es nicht fertig, einfach wieder zu fahren. Vielleicht lag die Frau verletzt in der Hütte und brauchte Hilfe.
Ängstlich schob sie eine Hand in die Tasche, schloss die Finger um die Waffe und ging auf die Hütte zu. Das Vaterunser ging ihr durch den Kopf, und die vertrauten Worte waren seltsam tröstlich.
Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name …
Sie erreichte die Stufen zur Veranda und sah, dass sie morsch waren. Eine Hand am Geländer, trat sie vorsichtig auf. Die Stufen hielten, und sie stieg hinauf.
Oben angekommen machte sie einen Schritt auf den Verandaboden. Das Holz knarrte unter ihrem Gewicht. Rasch ging sie zur Tür und griff mit zitternder Hand nach dem Knauf.
Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden, betete sie lautlos.
Die Tür schwang auf. Vorsichtig spähte Gwen in die Hütte und machte sich bemerkbar, die Stimme kaum lauter als ein Flüstern. Sie lauschte und wartete, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten.
Allmählich nahmen mehrere dunkle Umrisse Gestalt an. Möbel. Sie machte einen behutsamen Schritt in die Hütte. Ein paar klapperige Stühle, eine Schiffskiste, die als Couchtisch diente. Dinge, die vermutlich von früheren Bewohnern zurückgelassen worden waren.
Sie tastete sich weiter in den nächsten Raum vor und schimpfte sich eine komplette Idiotin. Was wollte sie eigentlich? Hier war kein Mensch. Irgendjemand hatte sie hereingelegt und sich einen Scherz erlaubt. Einen üblen.
Gwen drehte sich um. Ein sackförmiges weißes Gebilde über der Tür erregte ihre Aufmerksamkeit. Das war kein Sack, wie sie jetzt erkannte, sondern ein weißes Laken, das zusammengeknotet und hochgezogen eine Art Beutel formte.
Mit wachsendem Unbehagen sah sie zu dem Beutel hinauf. Derjenige, der sie angerufen und herbestellt hatte, hatte ihr Verhalten offenbar genau berechnet. Sie hielt den Termin ein, wartete, ging in die Hütte und entdeckte den Beutel.
Und ich öffne ihn.
Zitternd nahm sie den Beutel herunter und knotete ihn auf.
Eine Katze – oder was von ihr übrig war. Ein Balg, aufgeschlitzt und ausgeweidet. Zitternd schlug sie eine Hand vor den Mund, da ihr Magen rebellieren wollte. Das sandfarbene Fell des Tieres war blutverkrustet, das Laken blutgetränkt.
Sie betastete es vorsichtig, auch wenn sie innerlich davor zurückschreckte. Das Blut war noch nicht getrocknet.
Demnach war das hier erst vor kurzer Zeit geschehen, bevor sie zu diesem Termin bestellt worden war.
Die Sieben geben eine Warnung ab.
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