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Stadt des Schweigens

Stadt des Schweigens

Titel: Stadt des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margret Krätzig Erica Spindler
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dritte Nummer war ein Treffer. Eine automatische Ansage begrüßte sie beim Memory Call Service.
    „Ich hab’s“, sagte Avery aufgeregt. „Geben Sie mir einen Tipp zur Passzahl.“
    „Die Zahlen von eins bis fünf.“
    Avery gab sie ein und wurde höflich informiert, dass die Zahl falsch sei. Sie versuchte dieselbe Reihe rückwärts und verschiedene andere Kombinationen. Alle ohne Erfolg. Schließlich hängte sie ein und sah Gwen an. „Und jetzt?“
    „Die meisten Leute wählen Kombinationen, die sie sich leicht einprägen können. Jahrestage, Kindergeburtstage. Aber die kennen wir in diesem Fall nicht.“
    „Kennen wir doch“, widersprach Avery leise. „Das Datum, das Trudy Pruitt nie vergessen und vielleicht als schmerzliche Erinnerung verwandt hat. Der 18. Juni 1988. Die Nacht, in der Sallie Waguespack ermordet wurde und ihre Söhne bei einer Schießerei mit der Polizei umgekommen sind.“
    Avery wählte wieder den Anrufservice und gab die 61988 ein. Die automatische Ansage informierte sie, dass sie fünf neue Mitteilungen habe und eine alte.
    Erneut hob Avery den Daumen und drückte dann die entsprechenden Tasten, um sich die Nachrichten anzuhören. Sie hörte Datum und Uhrzeit der Mitteilung, dann wurde sie abgespielt. Der Erste war Trudys Boss aus der Bar. Er war sauer, dass sie nicht zur Arbeit erschienen war. Mehrfach wurde gleich wieder aufgelegt. Eine Frau weinte leise schluchzend, verzweifelt und hoffnungslos. Dann Hunter. Er sagte seinen Namen, gab seine Telefonnummer an und legte auf.
    Averys Knie zitterten, und sie stützte sich mit einer Hand am Tresen ab. Hunter hat Trudy Pruitt am letzten Nachmittag ihres Lebens angerufen! Warum?
    „Was ist los?“
    Sie entnahm Gwens Mienenspiel, dass sie selbst wohl ziemlich schockiert wirken musste, und versuchte es zu überspielen. „Nichts. Eine Frau, die weint. Einfach nur weint. Das ist unheimlich.“
    „Spielen Sie zurück.“
    Avery tat es und hielt den Hörer so, dass Gwen mithören konnte. Sobald der Anruf beendet war, unterbrach sie die Leitung.
    „Die Frau, die mich angerufen hat, klang auch, als hätte sie geweint“, bemerkte Gwen. „Vielleicht war es dieselbe.“
    „Um welche Zeit wurden Sie angerufen?“
    Gwen dachte kurz nach. „Gegen fünf am Nachmittag.“
    Avery wählte wieder und rief noch einmal die Mitteilungen auf. Die Frau hatte Trudy Pruitt um viertel vor fünf angerufen. Sie sah Gwen an. „Ist das ein Zufall?“
    „Ein komischer jedenfalls. Was hat das wohl zu bedeuten?“
    „Ich weiß nicht. Aber ich frage mich, ob sich die Polizei diese Mitteilungen schon angehört hat.“
    „Die können sie direkt vom Service abfragen. Schließlich könnten diese Anrufe Beweismittel sein.“
    „Oder der Polizei ist der Service noch gar nicht aufgefallen. Wir hätten ihn ja auch fast übersehen. Und jetzt raus hier.“
    Sie gingen auf demselben Weg hinaus, wie sie gekommen waren, und erreichten den Geländewagen ohne Zwischenfall. Avery ließ den Motor an und fuhr langsam los. Die Scheinwerfer schaltete sie erst nach einigen hundert Metern ein.
    Der Gedanke, dass Hunter Trudy Pruitt angerufen hatte, ließ sie nicht mehr los. Warum? Was hatte er mit dieser Frau zu schaffen, und das am letzten Tag ihres Lebens? Und vor allem, warum hatte er das nicht erwähnt, als sie über Trudys Ermordung gesprochen hatten?
    Die Antworten auf diese Fragen gefielen ihr gar nicht. „Etwas bedrückt Sie doch.“
    Avery streifte Gwen mit einem Blick. Sie sollte es ihr sagen, schließlich waren sie Partner in dieser Sache. Wäre sie eine Kollegin von der Post, würde sie beichten.
    So aber konnte sie es nicht. Zuerst musste sie die Sache durchdenken.
    „Ich frage mich, warum Leute wie Trudy Pruitt in Cypress Springs geblieben sind? Warum ist sie nicht einfach weggezogen?“
    „Das habe ich sie auch gefragt. Sie sagte, einige wären fortgegangen, aber für die anderen, für die meisten, ist dies hier ihre Heimat. Ihre Freunde und ihre Familien leben hier, also bleiben sie.“
    „Aber hier in Angst zu leben, zu wissen, dass man beobachtet und beurteilt wird, das ist so falsch, so gar nicht amerikanisch.“
    Während sie das sagte, wurde ihr bewusst, wie selbstverständlich ihre persönliche Freiheit für sie war. Was wäre, wenn es diese Freiheit eines Tages nicht mehr gab? Wenn sie ihre Meinung nicht mehr äußern oder nicht mehr die Filme sehen und die Bücher lesen durfte, die sie wollte. Wenn das Fehlen beim Gottesdienst oder eine zu viel getrunkene

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