Stadt, Land, Kuss
Robbies halb blinden Augen und an das Schluchzen, das in Clives Kehle aufstieg, als er ihn zum letzten Mal umarmte, und ich reiße mich zusammen.
»Komm schon, alter Junge, streng dich gefälligst an«, murmele ich, während ich das Narkosegas abdrehe, sodass nur noch Sauerstoff in Robbies Lungen strömt und seine lebenswichtigen Organe versorgt. Dann hänge ich einen neuen Infusionsbeutel an, um mehr Flüssigkeit in seine Vene zu leiten. In einer idealen Welt hätten wir wahrscheinlich sofort eine Bluttransfusion gemacht, aber dafür ist jetzt keine Zeit. Nach und nach – es kommt mir wie Stunden vor, aber in Wahrheit sind es nur Minuten – wird Robbies Puls wieder kräftiger. Sein Zustand ist noch immer nicht umwerfend, doch besser werden wir es unter den gegebenen Umständen wohl nicht hinkriegen.
Emma operiert weiter, und nach einer Weile liegt die Milz des Hundes auf einem Instrumententablett: ein dunkler, geschwollener, mit Arterienklemmen gespickter Klumpen, der mich an Fleischabfälle auf dem Hackklotz eines Metzgers erinnert. Zu unserer Erleichterung hat Robbie die Operation überstanden und schnarcht jetzt in einem der Käfige vor sich hin.
»Ich fange schon mal an aufzuräumen«, schlage ich vor. Emma schreibt inzwischen ihren OP-Bericht und hängt das Klemmbrett anschließend an die Vorderseite des Käfigs.
»Das kommt gar nicht in Frage.« Emma zieht ihren Kittel aus. »Du hast schon mehr als genug getan. Als ich dich übers Wochenende eingeladen habe, meinte ich nicht, dass du hier arbeiten sollst.«
»Ja, es hat tatsächlich etwas von einem Arbeitsurlaub«, gebe ich zu, »aber das macht mir nichts aus.« Ich bin es gewohnt. Man weiß nie, wann man zu einem Notfall gerufen wird – das ist eines der Berufsrisiken. Ich dachte, auch Emma sei es gewohnt, allerdings frage ich mich mittlerweile, ob die Leitung ihrer eigenen Praxis und der ständige Bereitschaftsdienst nicht über ihre Kräfte gehen.
»Ich weiß nicht, wie du das siehst, aber ich könnte jetzt einen Gin Tonic vertragen«, meint Emma fröhlich und greift zum Telefon. »Wir genehmigen uns nachher einen beim Abendessen.«
Ich sehe mein Spiegelbild in der Edelstahlauskleidung des Käfigs über Robbie und fahre mit den Fingern durch mein kurz geschnittenes blondes Haar, während ich mit halbem Ohr zuhöre, wie Emma mit Clive die Liste der möglichen postoperativen Komplikationen durchgeht.
»Er ist noch nicht über den Berg«, sagt sie zum Schluss. »Ich rufe Sie in einer Stunde noch einmal an.«
»Also, wo waren wir eben?«, fragt sie, als wir es uns mit einer wohlverdienten Tasse Tee auf dem Sofa im Personalraum gemütlich machen. Die Tür haben wir offen gelassen, um Robbie im Auge behalten zu können. »Wann musst du weg von Crossways?«
»In ein paar Wochen läuft meine Kündigungsfrist ab.« Sind es wirklich nur noch zwei Wochen? Die Erkenntnis, dass ich Crossways, den Ort, den ich seit fünf Jahren mein Zuhause nenne, schon so bald verlassen werde, trifft mich wie ein Schlag in den Magen. Aber ich bin ja selbst schuld daran. Ich habe meinen Job verloren – besser gesagt, ich habe gekündigt, ehe ich entlassen wurde. Ich habe eine der Grundregeln am Arbeitsplatz verletzt: Lass dich nie mit einem Kollegen ein, vor allem nicht, wenn er frisch geschieden ist. Als die Beziehung schließlich in die Brüche ging, beschloss ich, nicht länger zu bleiben und mir meine Niederlage auch noch unter die Nase reiben zu lassen.
»Es tut mir so leid, dass es nicht geklappt hat, Maz.« Emma nimmt die OP-Haube vom Kopf und zerzaust sich das Haar. »Mike schien so nett zu sein.«
»Anfangs sind sie das immer«, erwidere ich. Mike ist der Eigentümer der Tierarztpraxis Crossways im Südwesten von London. Er ist charismatisch, erfolgreich, attraktiv und hat wunderschöne braune Augen. Ich dachte wirklich, er wäre der Richtige. Außerdem ist er klug und engagiert und schafft es, neben der Arbeit in seiner Praxis auch noch etwas Forschung am Royal Veterinary College zu betreiben, was durchaus eine Erklärung dafür sein könnte, dass seine Ehe gescheitert ist.
Er war erst seit ein paar Monaten geschieden, als ich in der Praxis anfing, und ich bewunderte ihn dafür, dass er sich die fast unmittelbar aufflammende Anziehung zwischen uns eingestand, während er ihr gleichzeitig aus Rücksicht auf seine Exfrau nicht nachgeben wollte. Vielleicht machte es das so aufregend, der leise Schauer, als Mikes Arm den meinen streifte, während er mir im
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