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Stadt ohne Namen

Stadt ohne Namen

Titel: Stadt ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
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aber vergebens.
    Nicht einmal das Dach war zu erkennen, aber obwohl ich einen oder zwei Schritte ins Innere tat, nachdem ich den Boden mit einem Stock untersucht hatte, wagte ich es nicht, weiter hineinzugehen. Um so mehr, als mich das erste Mal in meinem Leben ein Gefühl der Furcht beschlich. Mir begann klarzuwerden, was die Launen des armen Klenze verursacht hatte, denn obwohl der Tempel mich mehr und mehr anzog, fürchtete ich seine wäßrigen Abgründe mit blindem und zunehmendem Entsetzen. Ins Unterseeboot zurückgekehrt, machte ich das Licht aus und saß gedankenvoll im Dunkeln. Der Strom mußte jetzt für Notfälle aufgespart werden.
    Samstag, den 18. August, verbrachte ich in völliger Dunkelheit, gequält von Gedanken und Erinnerungen, die meinen Willen zu überwältigen drohten.
    Klenze war verrückt geworden und umgekommen, bevor er bei diesem Überbleibsel einer ungesunden, weit zurückliegenden Vergangenheit angelangt war, und hatte mir geraten, mit ihm zu gehen. Erhielt mir das Schicksal tatsächlich nur deshalb den Verstand, um mich unwiderstehlich einem Ende zuzuführen, das schrecklicher und unausdenkbarer war als alles, was der Mensch erträumen könnte? Klar, meine Nerven waren krankhaft angespannt, und ich muß diese Merkmale schwächerer Menschen ablegen.
    Samstag nacht konnte ich nicht schlafen und schaltete das Licht ohne Rücksicht auf die Zukunft ein. Es war ärgerlich, daß die Elektrizität nicht solange vorhalten würde wie die Luft und die Vorräte. Meine Gedanken an einen Gnadentod wurden wieder wach, und ich prüfte meine automatische Pistole.
    Gegen Morgen muß ich bei brennendem Licht eingeschlafen sein, denn ich wachte gestern nachmittag im Dunkeln auf und fand die Batterien erschöpft. Ich strich mehrere Zündhölzer hintereinander an und bedauerte verzweifelt die Unvorsichtigkeit, die uns schon vor langer Zeit veranlaßt hatte, die wenigen Kerzen zu verbrauchen, die wir mitführten.
    Nach dem Erlöschen des letzten Zündholzes, das ich zu verschwenden wagte, saß ich ganz still ohne Licht, da. Als ich über das unvermeidliche Ende 92
    nachdachte, ließ ich meinen Geist über die vorhergegangenen Ereignisse schweifen, und ein bisher unbewußter Eindruck verstärkte sich, der einen schwächeren und abergläubischeren Menschen hätte schaudern machen. Der Kopf des strahlenden Gottes auf den Bildhauerarbeiten des Felsentempels ist der gleiche wie der des geschnitzten Elfenbeinstückes, das der tote Matrose aus dem Meere gebracht und das der arme Kieme dorthin zurückgetragen hatte.
    Ich war ob dieser Zufälligkeit etwas bestürzt, geriet aber nicht in Panik. Nur der primitive Denker ist schnell dabei, das Einzigartige und Komplizierte auf dem kürzeren Weg des übernatürlichen zu erklären. Die Koinzidenz war merkwürdig, aber ich war ein zu nüchterner Denker, um Dinge miteinander zu verbinden, die keine logische Verbindung zulassen, oder die schrecklichen Ereignisse auf unheimliche Weise mit den verhängnisvollen Vorkommnissen in Verbindung zu bringen, die von der Victory Affäre zu meiner gegenwärtigen Notlage geführt hatten. Ich nahm ein Schlafmittel, da ich mich ruhebedürftig fühlte, und verschaffte mir etwas mehr Schlaf. Der Zustand meiner Nerven spiegelte sich in meinen Träumen wider, denn ich schien die Schreie Ertrinkender zu hören und tote Gesichter zu sehen, die sich gegen die Seitenfenster des Bootes preßten. Und mitten unter den toten Gesichtern war das lebende, spöttische Gesicht des Jünglings mit dem Elfenbeinbild.
    Ich muß sehr achtgeben, wenn ich mein heutiges Erwachen niederschreibe, denn ich bin abgespannt, und Einbildungen mischen sich notwendigerweise mit Tatsachen. Psychologisch ist mein Fall äußerst interessant, und ich bedauere, daß ich nicht von einer kompetenten Kapazität wissenschaftlich beobachtet werden kann. Als ich die Augen öffnete, war mein erstes Empfinden ein überwältigender Wunsch, den Felsentempel aufzusuchen, ein Wunsch, der ständig größer wurde, dem ich mich dennoch aus einem Furchtgefühl heraus zu widersetzen versuchte, das mich in die Gegenrichtung drängte.
    Als nächstes empfing ich den Eindruck von Licht inmitten der Finsternis der erschöpften Batterien, ich schien durch das Seitenfenster, das zum Tempel hinausging, eine Art phosphoreszierenden Leuchtens im Wasser zu sehen. Dies erregte meine Neugier, denn mir war kein Tiefseeorganismus bekannt, der ein derartiges Leuchten auszusenden vermöchte. Aber bevor ich es

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