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Stadt ohne Namen

Stadt ohne Namen

Titel: Stadt ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
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eingedrungen war als mein eigenes.
    Etwas in der Nacht veranlaßte den mantelumhüllten Mann zum Schweigen, und eine endlose Stunde führte er mich ohne unnötige Worte, indem er kurze Bemerkungen machte, die sich auf alte Namen, Daten und Veränderungen bezogen, und mich in der Hauptsache durch Gesten vorwärts dirigierte, als wir uns durch Lücken quetschten, auf Zehenspitzen durch Korridore gingen, über Ziegelmauem kletterten und einmal auf Händen und Knien durch einen niederen, gewölbten Gang krochen, dessen ungeheure Länge und komplizierte Windungen jeden Hinweis auf die geographische Lage auslöschten, den ich mir bis jetzt erhalten hatte. Die Dinge, die wir sahen, waren alt und wunderschön, oder wenigstens erschienen sie mir in den wenigen verlorenen Lichtstrahlen so, bei deren Schein ich sie erblickte, und ich werde nie die schwankenden jonischen Säulen, kannelierten Pilaster und Zaunpfosten mit Vasen obenauf, die ausgebuchteten Türstürze und dekorativen Oberlichte vergessen, die immer merkwürdiger und seltsamer wurden, je tiefer wir in diesen unerschöpflichen Irrgarten unbekannter Altertümer vordrangen.
    Wir trafen keinen Menschen, und als es später wurde, wurden die erhellten Fenster weniger und weniger. Die Straßenlampen, auf die wir zuerst gestoßen 97
    waren, waren Öllampen in der alten Rautenform gewesen. Später bemerkte ich einige mit Kerzen, und schließlich, nachdem wir einen gruselig unbeleuchteten Hof überquert hatten, wo mein Führer mich mit seiner behandschuhten Hand durch völlige Dunkelheit zu einem schmalen Holztor in einer hohen Mauer geführt hatte, trafen wir auf ein Straßenstück, in dem nur die Front jedes siebten Hauses von einer Laterne beleuchtet wurde − unglaubliche, koloniale Zinnlaternen mit kegelförmigem Oberteil und in die Seitenwände gestanzten Löchern. Diese Gasse führte steil hügelaufwärts − steiler, als ich es in diesem Teil New Yorks für möglich gehalten hätte − und das obere Ende schloß mit der bewachsenen Mauer eines Privatgrundstückes rechtwinklig ab. Dahinter konnte ich eine bleiche Kuppel und die Wipfel der Bäume erkennen, die gegen das unbestimmte Himmelslicht hin− und herschwangen. In dieser Mauer befand sich ein kleines, niederes Tor aus nägelbeschlagener schwarzer Eiche, das der Mann mit einem gewichtigen Schlüssel aufzusperren sich anschickte. Nachdem er mich hineingeführt hatte, geleitete er mich in tiefster Finsternis über etwas, was ein Kiespfad zu sein schien, und schließlich eine steinerne Treppenflucht hinauf zur Tür des Hauses, die er aufschloß und für mich aufhielt.
    Wir traten ein, wobei mir von dem Geruch ungeheuerer Muffigkeit, der uns entgegenschlug, beinah schwach wurde, und der das Ergebnis jahrhundertelangen, gesundheitsschädlichen Verfalls sein mußte. Mein Gastgeber schien dies nicht wahrzunehmen, und ich sagte aus Höflichkeit nichts, als er mich quer durch die Halle eine geschwungene Treppe hinauf und in ein Zimmer führte, dessen Tür ich ihn hinter uns abschließen hörte. Dann sah ich ihn die Vorhänge der drei kleinscheibigen Fenster zuziehen, die man gegen den heller werdenden Himmel kaum wahrnahm; worauf er zum Kaminsims ging, Feuerstein und Stahl aneinanderschlug und zwei Kerzen eines Kandelabers mit zwölf Leuchtern anzündete, und dann gab er mir durch Gesten zu verstehen, ich solle leise sprechen. In diesem schwachen Lichtschein sah ich, daß wir in einer geräumigen, gut möblierten und getäfelten Bibliothek waren, die auf die erste Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts zurückging, mit großartigen Türgiebeln mit bezaubernden dorischen Randleisten und einem wunderbar geschnitzten Wandschmuck über dem Kaminsims mit Schnörkeln und einer Vase im Oberteil, über den vollen Bücherregalen hingen an den Wänden entlang in Abständen gut ausgeführte Ahnenbilder, alle zu einer rätselhaften Undeutlichkeit erblindet, die eine unmißverständliche Ähnlichkeit mit dem Mann hatten, der mich jetzt zu einem Stuhl neben dem graziösen Chippendaletisch durch Gesten hinsteuerte. Bevor er sich auf der anderen Seite des Tisches mir gegenüber hinsetzte, verharrte mein Gastgeber einen Augenblick wie in Verlegenheit und dann, indem er langsam seine Handschuhe, seinen breitkrempigen Hut, und den Umhang ablegte, zeigte er sich theatralisch in vollständiger georgianischer Kleidung, von der Zopfperücke und den Halsrüschen zu den Kniehosen, Seidenstrümpfen und Schnallenschuhen, die mir vorher gar nicht

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