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Stadt ohne Namen

Stadt ohne Namen

Titel: Stadt ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
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wirklich sein. Ich weiß, daß mein eigener Wahnsinn höchstens zur Erstickung führen wird, wenn mein Luftvorrat zu Ende ist. Das Licht im Tempel ist schiere Wahn Vorstellung, und ich werde wie ein Deutscher gefaßt in dieser schwarzen und vergessenen Tiefe sterben.
    Das teuflische Gelächter, das ich beim Schreiben höre, kommt nur aus meinem 94
    eigenen, schwach gewordenen Gehirn. So will ich denn sorgfältig meinen Anzug anlegen und kühn die Stufen dieses urzeitlichen Tempels emporsteigen, dieses schweigenden Geheimnisses unergründlicher Wasser und ungezählter Jahre.
    Er
    Ich sah ihn in einer schlaflosen Nacht, als ich verzweifelt herumwanderte, um meine Seele und meine Wunschvorstellungen zu retten. Es war ein Fehler gewesen, nach New York zu kommen; denn wo ich in dem wimmelnden Labyrinth alter Straßen, die sich endlos von vergessenen Gassen, Plätzen und Uferbezirken zu Gassen, Plätzen und Uferbezirken schlängeln, die genauso vergessen sind, und in den gigantischen modernen Türmen und Zinnen, die sich schwärzlich und riesengroß unter dem abnehmenden Mond erheben, nach prickelnden Wundem und Inspirationen gesucht hatte, fand ich statt dessen nur ein Gefühl des Grauens und der Bedrückung, das mich zu überwältigen, zu beherrschen und zu vernichten drohte.
    Die Ernüchterung war nach und nach eingetreten. Als ich mich zuerst der Stadt näherte, hatte ich sie bei Sonnenuntergang von einer Brücke aus erblickt, majestätisch über dem Wasser aufragend, ihre unglaublichen Gipfel und Pyramiden erhoben sich blumengleich und zart aus Seen violetten Dunstes, um in die flammenden Wolken und ersten Sterne des Abends hineinzustoßen. Dann hatte sich Fenster um Fenster über den schimmernden Wassern erhellt, wo Laternen schwankten und dahinglitten und tiefe Hörner unheimliche Harmonien ertönen ließen, und sie war dann selbst ein sternbesätes Traumfirmament geworden, das von Musik aus dem Reich der Feen widerhallte und eins war mit den Wundern von Carcasson−ne, Samarkand und El Dorado und all den ruhmreichen und halb sagenhaften Städten. Kurz danach führte man mich durch all diese alten Wege, die meiner Phantasie so teuer waren − schmale, sich windende Gassen und Passagen, wo Reihen roter geor−
    gianischer Ziegelhäuser mit kleinscheibigen Mansardenfenstern über säulengetragenen Eingängen blinkerten, die einmal auf vergoldete Sänften und pa−neelierte Kutschen herabgeschaut hatten − und mit dem ersten Begeisterungssturm der Verwirklichung dieser langersehnten Dinge glaubte ich wirklich Schätze von der Art gefunden zu haben, die mich mit der Zeit zu einem Dichter machen würden.
    Aber Erfolg und Glück sollten mir nicht werden. Das nackte Tageslicht zeigte nur Schmutz und Fremdartigkeit und die verderblichen Schwellungen sich auftürmender Steine, wo der Mond Schönheit und alten Zauber angedeutet hatte, und die Menschenmassen, die in den klammähnlichen Straßen wimmelten, waren gedrungene Fremde von dunkler Gesichtsfarbe mit harten Zügen und schmalen Augen, gewandte Fremde ohne Träume und ohne Beziehung zu ihrer Umwelt, die einem blauäugigen Menschen aus altem Stamm mit der Liebe zu schönen, grünen Pfaden und den weißen Kirchtürmen eines New−England−Dorfes im Herzen nichts bedeuten konnten.

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    So kam statt der Gedichte, auf die ich gehofft hatte, nur schaudernde Schwärze und unsägliche Einsamkeit, und ich erkannte schließlich eine furchtbare Wahrheit, die niemand bisher verlauten zu lassen gewagt hatte − das nicht einmal zu flüsternde Geheimnis der Geheimnisse −, die Tatsache, daß diese Stadt aus Stein und Lärm keine spürbare Fortsetzung des alten New York ist, so wie London eine von Alt−London und Paris eine von Alt−Paris ist, sondern daß es in der Tat völlig tot ist, sein hingestreckter Leichnam ist schlecht einbalsamiert und von merkwürdigen belebten Dingen heimgesucht, die nichts mehr mit dem zu tun haben, was es im Leben war. Nach dieser Entdeckung konnte ich nicht mehr ruhig schlafen, obwohl mich so etwas wie resignierende Ruhe überkam, als ich allmählich die Gewohnheit annahm, tagsüber die Straßen zu meiden und mich nur nachts hinauszuwagen, wenn die Dunkelheit das wenige, was von der Vergangenheit sich noch geisterhaft herum−treibt, und alte, weiße Torbögen sich noch der kräftigen Gestalten erinnern, die sie einst durchschritten. Mit dieser Entspannungsmethode konnte ich sogar ein paar Gedichte schreiben und davon absehen, zu meiner Familie nach

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