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Stadt ohne Namen

Stadt ohne Namen

Titel: Stadt ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
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erfuhr, nur ein kleiner Teil des Wissens war, das er sich später aneignen sollte. Er hatte nicht umsonst in Oxford studiert, noch hatte er sich vergebens mit einem alten Chemiker und Astrologen in Paris unterhalten.
    Er wurde schließlich dafür empfänglich, daß die ganze Welt nichts als Rauch unseres Intellekts ist; der dem Gewöhnlichen nicht zu Gebote steht, den der Weise aber wie eine Wolke Virginiatabak einatmen und ausstoßen kann. Was wir brauchen, schaffen wir um uns herum, und was wir nicht brauchen, können wir hinwegfegen. Ich will nicht sagen, das all dies insgesamt wahr ist, aber es ist genügend wahr, um uns hie und da ein hübsches Schauspiel zu bieten. Sie würden, soweit ich es verstehe, durch einen besseren Anblick gewisser früherer Zeiten, als die Phantasie Ihnen zu bieten vermag, angeregt werden, haben Sie bitte deshalb keine Furcht vor dem, was ich Ihnen zeigen werde. Kommen Sie ans Fenster, und seien Sie still.«
    Mein Gastgeber ergriff meine Hand um mich an eines der Fenster des übelriechenden Zimmers zu ziehen, und mir wurde kalt bei der ersten Berührung seiner unbehandschuhten Finger. Sein Fleisch, obwohl trocken und fest, war eiskalt, und ich schrak beinah zurück, als er mich vorwärts zog. Aber ich gedachte wieder der Leere und des Grauens der Wirklichkeit und bereitete mich kühn darauf vor, ihm hinzufolgen, wohin auch immer er mich führen möge. Als wir am Fenster waren, zog der Mann die gelben Seidenvorhänge beiseite und richtete meinen Blick in die Finsternis draußen. Einen Augenblick sah ich nichts außer Myriaden von tanzenden, winzigen Lichtern, weit, weit weg von mir. Und dann, wie als Reaktion auf eine unmerkliche Handbewegung meines Gastgebers, schoß ein Blitzstrahl über die Szene, und ich sah auf ein Meer üppigen Laubes hinaus − Laub, das nicht verschmutzt war, und nicht das Dächermeer, das ein normaler Geist erwartet hätte. Zu meiner Rechten glitzerte bösartig der Hudson, und in der Ferne vor mir sah ich den ungesunden Schimmer weiter Salzmarschen mit Scharen von Leuchtkäfern. Der Blitz erlosch, und ein böses Lächeln erhellte das wachsbleiche Gesicht des alten Nekromanten.
    »Das war vor meiner Zeit − vor der Zeit des neuen Gutsherrn. Lassen Sie es uns bitte noch einmal versuchen.«
    Ich fühlte mich schwach, noch schwächer, als die verfluchte Stadt mich hatte werden lassen.»Gütiger Gott!« flüsterte ich; »bringen Sie das mit jeder Zeit fertig?« Und als er nickte und schwarze Stümpfe entblößte, was einst gelbe Fangzähne gewesen waren, klammerte ich mich an die Vorhänge, um nicht hinzufallen. Aber er stützte mich mit seiner schrecklichen, eiskalten Klaue und machte wiederum seine heimliche Geste.
    Wieder blitzte es − aber diesmal über einer Szenerie, die mir nicht ganz fremd war.

100
    Es war Greenwich, das Greenwich, wie es früher war, mit hier und dort einem Dach oder Häuserreihen, wie man es jetzt kennt, dennoch mit schönen grünen Wegen und Feldern und Strecken grasbedeckten Gemeindelandes. Die Marschen glitzerten noch immer im Hintergrund, aber in größerer Entfernung sah ich die Kirchtürme des damaligen New York, Trinity und St. Pauls und die Kirche aus Ziegeln, die ihre Schwestern überragte, über dem Ganzen lag ein leichter Dunst von Holzrauch. Ich atmete schwer, aber nicht so sehr des Anblicks wegen, sondern wegen der Möglichkeiten, die meine Phantasie erschreckt heraufbeschwor.
    »Können Sie − wagen Sie − noch weiter zu gehen?« Ich sprach mit Ehrfurcht und ich glaube, er teilte sie für kurze Zeit, dann war das böse Grinsen wieder da. »Weiter? Was ich gesehen habe, würde Sie in eine; verrückte Steinfigur verwandeln! Zurück, zurück −vorwärts, vorwärts − schau, du kindischer Schwachkopf!«
    Und als er diesen Satz leise murmelte, machte er erneut eine Geste; er brachte am Himmel einen Blitz hervor, der mehr blendete als einer der vorhergegangenen. Für drei lange Sekunden konnte ich den Anblick des Pandämoniums erhaschen, und in diesen Sekunden bot sich mir eine Zukunftsvision, die mich für immer in meinen Träumen verfolgen wird. Ich sah den Himmel von merkwürdigen, fliegenden Objekten wimmeln und darunter eine höllenschwarze Stadt riesiger Steinterrassen, mit gotteslästerlichen Pyramiden, die sich dem Mond entgegenstreckten, und Teufelslichter, die in unzähligen Fenstern brannten. In luftigen Säulenhallen sah ich die gelben, schielenden Bewohner dieser Stadt ekelerregend herumwimmeln, gräßlich in

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