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Stadt unter dem Eis

Titel: Stadt unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Greanias
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waren unserem Denken weit voraus. Wir haben keine Chance.«
    »Ich dachte, wir wären uns einig, dass die ägyptischen Götter schon einmal besiegt worden sind«, sagte Conrad. Er sprach jetzt schneller und lauter. »Also, wann war das?«
    Serena dachte nach. »Während des Exodus, als Moses die Israeliten aus Ägypten hinausführte.«
    »Genau. Ein kosmisches Ereignis, das die Kulturgeschichte genauso verändern kann wie der Aufprall eines Meteoriten die Naturgeschichte. Ohne Exodus hätte es auch keine göttliche Erscheinung auf dem Berg Sinai gegeben. Und ohne Sinai gäbe es auch keinen Moses, Jesus oder Mohammed. Osiris und Isis wären die absoluten Herrscher, und die Skyline Manhattans bestünde aus Pyramiden. Wir würden statt Café Latte gegorenen Getreidesaft trinken.«
    Serena spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte. Conrad hatte mit dem, was er da sagte, nicht ganz Unrecht.
    »Die Frage ist nur«, fuhr Conrad mit glänzenden Augen fort, als stünde eine große Entdeckung bevor, »was hatte den Pharao dazu bewegt, es sich anders zu überlegen und die Israeliten ziehen zu lassen?«
    »Passah«, sagte Serena. »Als der Gott der Israeliten die Erstgeborenen aller Ägypter erschlug, aber die Häuser der israelitischen Sklaven, die ihre Pfosten mit dem Blut eines Lammes bedeckt hatten, verschonte.«
    »Genau«, sagte Conrad. »Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, dieses Passah allen Völkern zu ermöglichen.«
    Es gab eine, schoss es Serena plötzlich in den Kopf, und es platzte förmlich aus ihr heraus: »Das Lamm Gottes!«
    »Mein Gott, du hast Recht!«
    Sofort fing Conrad an, die Sterne im Gewölbe neu einzustellen, sodass sie den Sternenhimmel über Jerusalem darstellten.
    Im Nu schien sich der ganze Raum auf den Kopf zu stellen. Aber es war nur eine optische Täuschung, stellte Serena fest, weil die Gestirne der nördlichen und südlichen Hemisphäre ihre Position austauschten.
    »So weit, so gut. Jetzt haben wir den Ort«, sagte Conrad. »Wir brauchen noch einen Zeitpunkt.«
    Das war schon schwieriger, dachte Serena. »Laut Überlieferung starb Jesus im Alter von dreiunddreißig Jahren. Damit hätte die Kreuzigung zwischen den Jahren 30 und 33 unserer Zeitrechnung stattgefunden.«
    »Das ist nicht genau genug.« Conrad wurde ungeduldig. »Ich brauche die genaue Jahreszahl.«
    Serena kämpfte gegen die aufkommende Panik. Der christliche Kalender, von dem Mönch Dionysius Exiguus im 6. Jahrhundert erstellt, basierte auf falschen Zahlenangaben. Genauere Betrachtungen hatten ergeben, dass Dionysius die Geburt Christi einige Jahre zu spät angesetzt hatte. Heutzutage datierten die Kirchengelehrten die Geburt nicht später als das Jahr, in dem Herodes starb, also vier Jahre vor unserer Zeitrechnung.
    »Neunundzwanzig«, sagte sie schließlich. »Nimm neunundzwanzig.«
    Conrad stellte das Zepter auf dem Altar ein, und wieder drehte sich das Gewölbe. Wieder war das ohrenbetäubende Krachen zu hören. »Ich brauche jetzt noch den Tag«, rief er. »Und zwar sofort.«
    Serena nickte. Die katholische Kirche feiert Ostern jedes Frühjahr zu einem anderen Zeitpunkt. Aber die orthodoxe Kirche hielt mit astronomischer Genauigkeit an dem historischen Datum fest. Das Konzil von Nizäa im Jahre 325 hatte das Dekret erlassen, dass Ostern am ersten Sonntag nach dem Vollmond der Frühjahrs-Tagundnachtgleiche gefeiert werden musste, aber immer nach dem jüdischen Passahfest, um die biblische Reihenfolge der Kreuzigung und der Auferstehung einzuhalten.
    »Freitag nach dem ersten Vollmond der Frühjahrs-Tagundnachtgleiche.«
    »Freitag?«, fragte er zweifelnd. »Nicht Sonntag?«
    »Freitag«, beharrte sie. »Die Auferstehung war ein Zeichen des Triumphes über den Tod. Aber der größte Edelmut wurde bewiesen, als Jesus am Kreuz für die Sünden der Menschheit starb und seinen Feinden vergab.«
    »In Ordnung. Jetzt die genaue Stunde.«
    »In den Schriften steht, dass es die neunte Stunde war.«
    Er sah sie verdutzt an. »Hä?«
    »Drei Uhr.«
    Conrad nickte, machte die letzten Einstellungen und trat dann zurück. »Beten Sie, Schwester Serghetti.«
    Das Gewölbe drehte sich und rastete ein. Es stellte jetzt den Himmel über Jerusalem in der neunten Stunde des fünften Tages nach dem ersten Vollmond der Frühjahrs-Tagundnachtgleiche im Jahre 29 dar.
    »Jetzt zeigt sich die Gerechtigkeit aus dem Glauben, unabhängig von den Gesetzen«, betete sie leise und wiederholte die Worte, die der heilige Paulus zu den Römern

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