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Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
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die Arme, um ihm Gesellschaft zu leisten. Ganz zum Schluss verhaken sich Waynes Beine in einem plötzlichen, verblüffenden Krampf, und Carly stößt ungewollt einen leisen Schrei aus und hält sich dann rasch die Hand vor den Mund, wie ein kleines Kind, wenn es weiß, dass es etwas gesagt hat, was es nicht hätte sagen sollen.

36
    Man kann allen Sex haben, den man will, sich Liebeserklärungen geben, bis man heiser ist, aber das Einzige, was man wirklich braucht, um sich als Paar zu fühlen, ist, gemeinsam zu einem förmlichen Anlass zu erscheinen, entsprechend angezogen, im Gleichschritt. Ich nehme mir eine Sekunde extra, um dieses Gefühl zu genießen, als ich mit Carly die steinernen Stufen der St.-Michaels-Kirche zu Waynes Begräbnis hochsteige, nehme mir Zeit, es durch meine Poren einzuatmen und auszuatmen, in der Gewissheit, dass ein solches Bewusstsein flüchtig ist und dass es unvermeidlich auf dieselbe gedankenlose Art verarbeitet werden wird wie Sauerstoff.
    Der Himmel ist ein violettes, unheilvolles Grau, die Luft feucht und dick, und ein Sturm kündigt sich bedrohlich an. Es ist ein perfektes Beerdigungswetter, und ich weiß, dass es Waynes Sinn für Theatralik gefallen hätte. »Ich verstehe das einfach nicht«, sagt Carly, als wir uns der hohen, strengen Pforte von Sankt Mike's nähern. »Warum hat sich Wayne bloß eine traditionelle Beerdigungsmesse gewünscht? Er hasst die Kirche doch.«
    »Ich glaube nicht, dass es irgendetwas mit der Kirche zu tun hat«, sage ich, als ich an dem schmiedeeisernen Türknauf ziehe und in die Kirche trete. »Er tut es für seine Eltern.«
    »Vielleicht. Aber trotzdem, es sieht ihm gar nicht ähnlich.«
    Seit Waynes Tod sind drei Tage vergangen, und wir sprechen immer noch beharrlich in der Gegenwartsform von ihm, nicht bereit, sein unvermeidliches Entschwinden in die Vergangenheit Wirklichkeit werden zu lassen.
    Wir sind die Ersten in der Kirche, und das Geräusch unserer Schritte auf den uralten Steinplatten hallt dreifach von den hohen, gewölbten Decken der Vorhalle wider. Durch einen niedrigen Torbogen betreten wir die eigentliche Kirche und schreiten zwischen den Reihen leerer Kirchenbänke vor bis zum Altarraum, sodass wir genau unterhalb des erhöhten Altars stehen. Ich sehe mich in dem riesigen Gewölbe um, sehe die Buntglasfenster, die freiliegenden hölzernen Deckenbalken, die gegossenen Kruzifixe, die die Decke zu beiden Seiten des riesigen eisernen Kronleuchters schmücken. »Weißt du was?«, sage ich. »Das ist das erste Mal, dass ich in einer Kirche bin.«
    »Wirklich?«, sagt Carly. »Für mich ist es das dritte Mal. Eine Hochzeit und eine Beerdigung.«
    »Was sind wir nur für Heiden.« Wir sprechen im Flüsterton miteinander, obwohl wir beide ganz allein in dem gewaltigen Gewölbe sind, zwei Neophyten, die mit übertriebener Ehrfurcht überkompensieren.
    »Wir sind keine Heiden. Wir sind abtrünnige Juden.«
    Wir setzen uns in eine der vordersten Reihen, und die Holzbank knarrt unter den missbrauchten zinnoberroten Polstern, die über Jahrzehnte hinweg Babykotze und die nicht mehr benötigten Reste heimlicher Bonbons und Kaugummis in sich aufgenommen haben. »Es geht doch nichts über eine Kirche, um den Juden in sich zu spüren«, sage ich.
    Natürlich, es ist ohnehin nicht so, dass die Goffmans je fromme Anhänger des Judaismus gewesen sind. Das einzige Mal, dass ich - soweit ich mich erinnern kann - eine Synagoge von innen sah, war anlässlich von Brads Bar-Mizwa. Er sprach im Reformtempel an der Churchill über der Torah stockend ein paar Segenssprüche, und danach hatten wir eine Party. Es gab kleine Streichholzbriefe und Minzbonbons mit seinem Namen obenauf, und die Tafelaufsätze waren Miniatur-Basketballringe mit Styropor-Basketbällen, und dann war da noch ein etwas verwahrlost aussehender DJ mit Dauerwelle, der noch immer im Zustand des Leugnens den Tod der Disco betrauerte. Ich nehme an, wenn meine Mutter nicht vor meinem dreizehnten Geburtstag gestorben wäre, hätte ich ebenfalls eine Bar-Mizwa gehabt, aber sie starb, also hatte ich keine. Wenn ich die jüdischen Tradition richtig verstanden habe, bedeutet das, dass ich offiziell nie ein Mann geworden bin.
    Die Tür hinter uns schwingt auf, und als wir uns umblicken, sehen wir Waynes Eltern in die Kirche treten, begleitet von Father Mahon, einem stämmigen, liebenswürdigen Priester, der seit über dreißig Jahren in Sankt Mike's ist und bei Katholiken und Heiden gleichermaßen für

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