Stadtfeind Nr.1
würde mein Blut erhitzt werden, bevor es durch meinen Körper fließt, und es droht, meine Adern zum Schmelzen zu bringen. Was mich lähmt, ist die plötzliche, sichere Erkenntnis, dass ich an genau der Stelle stehe, an der mein Vater in seinen letzten bewussten Augenblicken fiel. Ich blicke zur Spitze des Drei-Sekunden-Raums und zähle in Gedanken die Schritte bis hin zu dem Punkt, an dem ich stehe, was mir bestätigt, dass ich mich tatsächlich an genau der richtigen Stelle befinde. »Komm schon, Joe!«, ruft mir Carly von der anderen Seite der Turnhalle zu. Mit zwei Fingern wische ich die heiße Nässe beiseite, die sich mit einem Mal auf meinen Wangen gebildet hat, und dann reiße ich mich los und trete entschlossen aus Arthur Goffmans Sweet Spot.
Jetzt, nachdem die Lichter eingeschaltet sind, sehe ich, dass die Tinte von den uralten Unterschriften auf dem Basketball meines Vaters auf unsere verschwitzten Hände abgefärbt und uns merkwürdige Kleckse ins Gesicht gezeichnet hat, wo wir uns mit den tintenverschmierten Händen berührt haben, sodass wir wie ein völlig wild gewordener Haufen aussehen. Wir bleiben noch eine halbe Stunde, und Carly, Jared und ich werfen wahllos ein paar Körbe, während Wayne in seinem Rollstuhl an der Freiwurflinie sitzt, ein glückliches Lächeln im Gesicht. Von Zeit zu Zeit steht er auf, und wir werfen ihm den Ball für ein oder zwei perfekte Freiwürfe zu.
Später schlägt Jared Carly und mich mühelos in einem lockeren Zwei-gegen-Eins, als ich zufällig einen Blick auf Wayne in seinem Rollstuhl werfe. Er sitzt aufrecht und völlig still, die Augen weit aufgerissen und starr. »Wayne?«, sage ich und halte mitten im Dribbeln inne. Er gibt keine Antwort, lässt nicht einmal erkennen, dass er mich gehört hat. »Wayne!«, rufe ich, diesmal ein bisschen lauter. »Oh, mein Gott«, flüstert Carly, und ich spüre, wie sich ihre Fingernägel schmerzhaft in meinen Unterarm bohren, ihn wie Lehm eindellen. »Ist er ... ?« Wir beide nähern uns ihm ängstlich, wie in Zeitlupe, und der Basketball rutscht mir aus der Hand und hüpft geräuschvoll zur Seite. »Wayne?«, sage ich noch, einmal, diesmal leise, und meine eigene Stimme klingt hohl in meinen Ohren. Ich spüre, wie Carlys Arm zittert. Wir sind noch einen Schritt von ihm entfernt, als er uns zuzwinkert und grinst. »Nur ein bisschen Galgenhumor«, sagt er.
Carly lässt sich stöhnend gegen mich fallen, und hinter uns johlt Jared hysterisch auf und klatscht sich in die Hände.
Auf der kurzen Fahrt nach Hause verkündet Wayne, dass er verbrannt werden will, damit wir etwas Bedeutungsvolles und Theatralisches mit seiner Asche machen können, wie sie es mit Debra Wingers in Zeit der Zärtlichkeit tun. »Erinnert ihr euch noch?«, sagt er. »Shirley MacLaine sitzt einfach da und trägt diese Urne mit sich herum und versucht, sich zu überlegen, was zum Teufel sie mit dieser Asche anfangen soll. Das ist es, was ich will. Dass ihr beide euch irgendetwas Bedeutungsvolles und Theatralisches für meine sterblichen Überreste einfallen lasst.«
»Willst du uns vielleicht wenigstens einen Hinweis in die richtige Richtung geben?«, sage ich.
»Ich habe doch immerhin schon gesagt, dass ich eingeäschert werden will«, sagt Wayne. »Herrgott, muss ich denn alles selbst machen?«
Als wir zu Hause angekommen sind und Wayne sicher in Fabias Obhut gegeben haben, bin ich auf dem Weg zur Dusche, als ich durch Brads offene Zimmertür Carly sehe, die auf dem Bett sitzt, noch immer in dem T-Shirt und den Jeans, die sie vorhin für den Ausflug anhatte, und nachdenklich ihre tintenverschmierten Finger betrachtet. »Was ist los?«, sage ich.
Sie lässt die Hände sinken und sieht zu mir hoch. »Vor über vierzig Jahren haben diese Jungs diesen Basketball signiert und versucht, etwas zu bewahren, was ihnen etwas bedeutet hat. Sie wussten schon damals, in der Sekunde, in der sie die Meisterschaft gewannen, dass dieser Sieg im Laufe der Zeit, mit jeder verstreichenden Minute, immer bedeutungsloser werden würde. Ihre Namen sind über vierzig Jahre auf diesem Ball geblieben, und dann, binnen einer Stunde oder so, war es überall auf meinen Händen, und auf deinen, und nur noch ein Stein in der zerbröckelnden Mauer ihrer Nachwelt.«
Ich trete ins Zimmer und lehne mich gegen Brads alten Schreibtisch mit den Led-Zeppelin- und Rush-Aufklebern, die unter der Glasplatte in der Zeit erstarrt sind, neben Fotos von Brad und Cindy in ihren besten Jahren, wie sie
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