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Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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Nummer von Jack Kincaid.
    »Praxis Dr. Kincaid.«
    »Ist er da?«
    »Darf ich ihm sagen, wer am Apparat ist?«
    »Nein, dürfen Sie nicht!«
    »Einen Moment bitte, Mr. Halcyon.«
    Kincaids Ton war entschieden zu fröhlich. »Hallo, Edgar. Wie läuft’s mit den Strumpfhosen?«
    »Wann kann ich kommen?«
    »Weswegen?«
    »Wegen der Tests. Ich will neue machen lassen.«
    »Edgar, das würde an der Diagnose aber nicht das geringste …«
    »Ich bezahle doch dafür, verdammt noch mal!«
    »Edgar …«
    »Bei Addison Branch hast du dich auch getäuscht. Das hast du mir selbst erzählt.«
    »Das war doch ganz was anderes. Bei ihm waren die Symptome nicht so ausgeprägt.«
    »Symptome können sich ändern. Es ist schon drei Monate her.«
    »Edgar … hör mir jetzt mal zu … ich sage dir das als Freund: Hör auf, dagegen anzukämpfen! Du rennst bloß mit dem Kopf gegen die Wand. Damit bist du weder fair zu dir noch zu den Menschen, die dich lieben.«
    »Kannst du mir mal sagen, was Fairneß damit zu tun haben soll?«
    »Stell dich den Tatsachen, Edgar. Du kommst sowieso nicht darum herum. Sprich mit deiner Familie darüber. Kauf dir eine Jacht und mach mit Frannie eine Weltumseglung. Mein Gott … miet dir ein Schloß in Spanien oder brenn mit einer Nutte durch oder mach am Jackson Square weiter allen die Hölle heiß … aber stell dich den Tatsachen! Mach um Gottes willen … nein, um deinetwillen … aus dem nächsten halben Jahr das Beste, was du kannst.«
     
    Als Mary Ann zurückkam, stand er wartend neben ihrem Schreibtisch. »Ich gehe weg. Wenn jemand nach mir verlangt … ich bin mit einem Kunden beim Essen.«
    »Bei Doro’s?«
    »Es spielt keine Rolle, wo ich bin. Sagen Sie bloß, ich sei nicht im Hause.«
    Mit langen Schritten eilte er auf die Straße. Es empörte ihn, daß ein Vertrag erfüllt wurde, den er nie unterzeichnet hatte.
    Es Frannie sagen? O Gott! Welchen Gewinn würde sie daraus ziehen können, wenn so etwas erst mal in den Klatschspalten stand?
    »Frances Halcyon, die vorbildhafte Dame der Gesellschaft aus Hillsborough, errang am Freitag abend mit einem intimen kleinen Abendessen für die Opernkünstler Nora Cunningham und Nigel Huxtable einen neuerlichen Triumph. Frannie, die in New York gerade A Chorus Line gesehen hatte (« Ganz wunderbar! »), erfreute die verwöhnten Gaumen ihrer erlesenen Gäste mit Rindsrouladen und Herzoginkartoffeln. Gatte Edgar (er ist der Werberiese) überraschte die anwesenden Gäste mit der Ankündigung seines kurz bevorstehenden Todes …«
     
    Edgar verließ den Jackson Square und schlenderte über die Columbus hinauf in das heftig pochende Herz von North Beach. Carol Dodas blinkende Brustwarzen zwinkerten ihm unbarmherzig zu. Sie waren die aufdringlichen Zeugen einer Revolution, zu deren Aufständischen er nie gehört hatte.
    Vor dem Garden of Eden brüllte ein schielender Penner: »Das Ende ist da. Schließt Frieden mit dem Herrn. Söhnt euch aus mit Jesus!«
    Edgar brauchte einen Ort, an dem er wieder einen klaren Kopf bekommen konnte.
    Und die Zeit dafür. Kostbare Zeit.
    Er setzte sich auf eine Bank am Washington Square. Gleich neben ihm saß eine Frau ungefähr in seinem Alter. Sie trug eine legere Wollhose und einen Kittel mit Paisleymuster und las im Bhagavad Gita.
    Sie lächelte.
    »Ist das die Antwort?« fragte Edgar und deutete auf das Buch.
    »Was ist die Frage?« antwortete die Frau.
    Edgar grinste. »Gertrude Stein.«
    »Ich glaube nicht, daß sie das gesagt hat. Sie etwa? Kein Mensch ist so schlagfertig, wenn er im Sterben liegt.«
    Da war es schon wieder.
    Eine gewisse Verwegenheit überkam ihn. »Was würden Sie sagen?«
    »Wann?«
    »Am Ende. Was wären Ihre letzten Worte? Wenn Sie sich welche aussuchen könnten.«
    Die Frau musterte ihn. Dann sagte sie: »Wie wär’s mit … ›Ach du Scheiße!‹?«
    Sein Lachen hatte etwas Animalisches. Und es war so befreiend, daß ihm die Tränen herunterliefen. Die Frau betrachtete ihn gütig, mit einer gewissen Distanz zwar, aber doch irgendwie liebenswürdig.
    Fast kam es Edgar so vor, als wüßte sie alles.
    »Möchten Sie ein Sandwich?« fragte sie, als er zu lachen aufhörte. »Eines mit focaccia- Brot .«
    Edgar saugte ihre Güte in sich auf und sagte ja. Es war schön, daß es jemand gab, der sich einmal um ihn kümmerte. »Ich heiße Edgar Halcyon«, sagte er.
    »Wie nett«, sagte sie. »Ich heiße Anna Madrigal.«
Kleine Häppchen, große Wirkung
    Mary Ann saß an ihrem Schreibtisch und zog sich

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