Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten
haben diesen Marine aus Okinawa geholt und ihn mit seiner Verlobten zusammengebracht. Sie hatte ein Froschkostüm an, und er hat sie küssen müssen … mit verbundenen Augen.«
Mrs. Miller hängte sich bei Edgar ein. »Ist das nicht reizend? Aber Sie sehen wohl nicht viel fern, was?«
»Nein. Ich fürchte nicht.«
»So, genug geplaudert jetzt. Machen wir uns an die Arbeit. Möchten Sie vorher noch irgendwas? Ein Glas Hi-C vielleicht? Oder ein paar Mais-Chips?«
»Danke, ich brauche nichts.« Aus lauter Nervosität hatte er im Club in letzter Minute noch Hühnerleber in sich hineingeschlungen. »Von mir aus können wir jederzeit anfangen.«
»Na, dann wollen wir zwei beide mal rüber in die Garage. Und daß du mir den Fernseher nicht zu laut aufdrehst, Ernie, hast du gehört?« Ihr Mann antwortete mit einem Brummen.
Mrs. Miller führte Edgar durch die Küche. »Dieser Ernie und sein Fernsehen! Wahrscheinlich entspannt ihn das … Außerdem ist es sehr viel gottgefälliger als die Filme, die heutzutage im Kino laufen und wo man so … na, Sie wissen schon … lauter so unappetitliche Sachen sieht.«
»Mmm«, antwortete Edgar unbestimmt. Er wollte höflich, aber desinteressiert klingen. Mrs. Miller entfesselte ihre Monologe mit der gleichen Zuverlässigkeit wie New Yorker Taxifahrer oder italienische Friseure. Edgar wollte seine Zeit bei Mrs. Miller nicht mit einem Vortrag über Schweinigeleien im Kino verschwenden.
Im Halbdunkel der Garage machte sich Ruby Miller ans Werk. Sie räumte erdverkrustete Gartengeräte von der Tischtennisplatte und nahm ein paar Kerzenstummel aus einer alten MJB-Kaffeedose. Leise vor sich hin summend, streifte sie das vertraute purpurrote Gewand aus Kordsamt über.
»Haben Sie irgendwelche Veränderungen bemerkt?«
»In der Garage?«
Mrs. Miller kicherte. »In Ihnen. Das ist heute Ihr fünfter Besuch. Sie sollten eigentlich … Veränderungen spüren.«
»Ich bin nicht sicher. Vielleicht habe ich …«
»Forcieren Sie nichts. Es kommt ganz von selbst.«
»Wenn ich Ihre Zuversicht bloß teilen könnte.«
»Meinen Glauben, Mr. Halcyon.«
»Ja.«
»Glaube ist etwas anderes als Zuversicht.«
Sie ärgerte ihn allmählich. »Mrs. Miller … meine Frau erwartet mich in Kürze zu Hause. Könnten wir …?«
»Natürlich.« Sie wurde ganz geschäftsmäßig. Sie streifte einige nicht vorhandene Flusen vom Vorderteil ihres Gewands und knetete kurz ihre Finger durch. »Nehmen Sie bitte die Stellung ein.«
Edgar lockerte seine Krawatte und kletterte auf die Tischtennisplatte. Er legte sich auf den Rücken. Mrs. Miller zündete eine Kerze an und stellte sie neben Edgars Kopf auf die Platte.
»Mr. Halcyon?«
»Ja?«
»Verzeihen Sie bitte, aber … na ja, ich habe mich gefragt, ob … Sie erwähnten vorhin Mrs. Halcyon. Und ich habe mich gefragt, ob Sie es ihr gesagt haben.«
»Nein.«
»Ich weiß, wie ungern Sie darüber sprechen, aber … manchmal hilft es, wenn jemand mitmacht, der einem sehr nahe steht und …«
»Meine Familie ist katholisch, Mrs. Miller.«
Sie war sichtlich erschüttert. »Oh … Das tut mir leid.«
»Ist schon in Ordnung.« Er wischte es mit einer Handbewegung beiseite.
»Ich wollte nicht sagen, daß es mir leid tut, daß Sie katholisch sind. Ich wollte sagen, daß …«
»Ich weiß, Mrs. Miller.«
»Der Herr liebt auch Katholiken.«
»Ja.«
Sie drückte ihre Fingerspitzen gegen Edgars Schläfen und machte kleine kreisende Bewegungen. »Jesus wird bei Ihrer Heilung helfen, Mr. Halcyon, aber Sie müssen an ihn glauben. Sie müssen wieder zu einem kleinen Kind werden und Zuflucht suchen in seinen Armen.«
Ein Motorrad brauste die Ortega Street entlang und knatterte blasphemisch, als Ruby Miller die Beschwörungsformel anstimmte, die Edgar inzwischen auswendig kannte:
»Heile ihn, Jesus! Heile deinen Diener Edgar. Heile seine aussetzenden Nieren und lasse ihn wieder ganz werden. Heile ihn, Jesus! Heile deinen Diener …«
Der Junge von nebenan
Mary Ann verabschiedete sich bei Mrs. Madrigal kurz nach zehn.
In ihrer Wohnung legte sie die Beine hoch, nippte an einem Mineralwasser und ging ihre Post durch.
Die bestand aus einer kurzen, düsteren Mitteilung ihrer Mutter, einer bunten Hallmark-Karte von Connie, auf der sie ihr Desertion unterstellte, und einem Schächtelchen, in dem ihre mit aufgedruckten Stadtansichten von San Francisco verschönerten Schecks von der Hibernia Bank lagen.
Als kleine Aufmerksamkeit für die Empfänger
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