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Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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waren die Schecks mit dem Aufdruck »Genieß den Tag!« versehen.
    Trotz ihres erbärmlichen Einkommens hatte Mary Ann die Wahl einer Bank irgendwie als Voraussetzung empfunden, um sich in dieser Stadt zu etablieren.
    Anfangs hatte sie zwischen der Chartered Bank of London und der Wells Fargo Bank geschwankt. Erstere bot einen wunderbaren Namen voller Klasse und einen Kamin in der Eingangshalle, doch in der gesamten Stadt bloß eine einzige Niederlassung. Letztere hörte sich so hübsch nach Wildem Westen an und hatte unzählige Zweigstellen.
    Doch sie mochte die Werbung nicht. Diesen Bilderbuchcowboy Dale Robertson hatte sie noch nie besonders attraktiv gefunden.
    Schließlich hatte sie sich für die Hibernia entschieden.
    Deren Werbung versprach, daß man alle Kunden mit Namen kannte.
     
    Jemand klopfte an Mary Anns Tür.
    Es war Brian Hawkins. Er hatte die Wohnung gegenüber. Er arbeitete als Kellner bei Perry’s, und sie hatten bisher nur ein- oder zweimal kurz miteinander geplaudert. Brian hatte extrem unregelmäßige Arbeitszeiten.
    »Hallo«, sagte er. »Mrs. Madrigal hat mich gerade angerufen.«
    »Ja, und?«
    »Worum geht’s denn? Um die Möbel?«
    »Tut mir leid, Brian, aber ich komme nicht so ganz …«
    »Sie hat gesagt, daß du bei irgendwas Hilfe brauchst.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, was …« Es dämmerte. Mary Ann lachte. Sie schüttelte den Kopf und musterte wieder einmal Brians kastanienbraune Locken und seine grünen Augen. Mrs. Madrigal war zwar aufdringlich, aber ihr Geschmack war nicht übel.
    Brian sah leicht verärgert aus. »Vielleicht hilfst du mir auch auf die Sprünge.«
    »Ich glaube, Mrs. Madrigal betätigt sich als Kupplerin.«
    »Du brauchst gar niemand, der dir beim Möbelrücken hilft?«
    »Es ist etwas peinlich. Ich … na ja, ich habe ihr gerade vorhin gesagt, daß es in San Francisco nicht genügend Heteromänner gibt.«
    Brian strahlte plötzlich übers ganze Gesicht. »Ja. Ist das nicht großartig?«
    »Oh, Brian … Entschuldige. Ich dachte, du wärst …«
    »Keine Bange. Ich bin hetero durch und durch. Ich steh nur überhaupt nicht auf Konkurrenz.«
     
    Er lud sie zu einem Schlummertrunk bei sich ein. Seine winzige Küche war mit leeren Chiantiflaschen und Sierra-Club-Plakaten dekoriert. Die aus einem Topf auf dem Fensterbrett hängenden Überreste einer vernachlässigten Grünlilie boten einen grausigen Anblick.
    »Dein Herd ist vielleicht toll«, sagte Mary Ann.
    »Ja, der ist wirklich eine Wucht, was? Überall sonst würde man ihn für Schrott erklären. Aber für unsereins verbreitet er was vom Charme der Alten Welt.«
    »Gehört der zur Wohnung?«
    »Willst du mich auf den Arm nehmen? Die Stereoanlage und die Trimmbank gehören mir. Der Rest stammt von der Drachenlady.«
    »Von Mrs. Madrigal?«
    Er nickte und musterte sie von Kopf bis Fuß. »Sie will uns also verbandeln, was?« Sein Lächeln kam einem anzüglichen Grinsen immer näher.
    Mary Ann beschloß, sich nicht darum zu kümmern. »Sie ist ein bißchen merkwürdig, aber ich glaube, sie meint es gut.«
    »Sicher.«
    »Hatte sie dieses Haus schon immer?«
    Brian schüttelte den Kopf. »Ich glaube, sie hatte früher einen Buchladen in North Beach.«
    »Ist sie denn von hier?«
    »Niemand ist von hier.« Er goß noch etwas Almadén Pinot Noir in ihr Glas. »Du bist aus Cleveland, nicht?«
    »Ja. Woher weißt du das?«
    »Mona hat es mir erzählt.« Die grünen Augen bohrten sich in sie.
    Mary Ann schaute in ihr Glas. »Hier gibt es wohl überhaupt keine Geheimnisse.«
    »Darauf würde ich mich nicht verlassen.«
    »Warum nicht?«
    »In dieser Stadt haben alle Geheimnisse. Man muß nur ein bißchen tiefer graben, um sie zu finden.«
    Er tut geheimnisvoll, dachte sie, weil er meint, daß das sexy ist. Sie kam zu dem Schluß, daß es Zeit war zu gehen.
    »Tja«, sagte sie und stand auf. »Ich muß morgen arbeiten. Danke für den Wein … und für die Besichtigung.«
    »Ich stehe jederzeit gern zu Diensten.«
    Davon war sie überzeugt.
Die Matriarchin
    AlsEdgar um Viertel nach elf nach Hause kam, war unübersehbar, daß Frannie getrunken hatte.
    »Na, wie war’s im Club, Liebling? Hast du mal wieder auf braves Mitglied gemacht?«
    Sie thronte auf dem Sofa im Wintergarten. Die Beine hatte sie unter ihr thailändisches Seidengewand gezogen. Ihre Perücke war verrutscht. Sie roch nach Rum und Trader Vic’s Mai Tai Mix.
    »Hallo, Frannie.«
    »Das war ja ’ne arg lange Ausschußsitzung.«
    »Wir haben die

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