Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten
konnte.
»Hallo«, sagte eine Stimme irgendwo zwischen ihm und der Sonne.
Michael schirmte seine Augen ab und schaute hoch. Es war der Kerl aus dem zweiten Stock. Brian Soundso. Er hatte ein Badetuch mit einem Coors-Aufdruck dabei.
»Hallo. Nur keine Scheu. Das Wasser ist sehr angenehm.«
Brian nickte und breitete sein Badetuch aus. Eineinhalb Meter weg, wie Michael feststellte. Nahe, aber doch nicht zu nahe. Ein GAV wie aus dem Bilderbuch geil, aber verklemmt.
»Meinst du, es zahlt sich überhaupt aus?« fragte Brian.
»Wahrscheinlich nicht, aber was soll’s? Wir können es uns nicht leisten, die anderen schweinchenrosa Menschen zu enttäuschen, die in den Bars so rumstehen.«
Brian lachte. Offensichtlich hatte er die Ironie hinter der Bemerkung verstanden. Okay, dachte Michael, es ist ihm klar, daß wir nicht auf dieselben Bars abfahren. Und noch weniger auf dieselben Körper. Aber trotzdem … Er weiß es, und er weiß, daß ich weiß, daß er es weiß. Damit läßt sich leben.
»Ich bin Michael. Und du bist Brian … richtig?«
»Richtig.«
Sie schüttelten sich die Hand, und da sie immer noch bäuchlings dalagen, mußten sie sich dafür weit über die Sicherheitszone zwischen ihnen strecken.
Michael lachte. »Wir sehen aus wie die zwei Kerle auf dem Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle!«
Eine Viertelstunde später hatte Michael wieder Lust zu reden.
»Du bist doch solo, oder?«
»Ja.«
»In dieser Stadt muß das doch was ganz Wunderbares sein. Ich meine … für einen Hetero.«
»Hmh?«
»Na ja, ich meine … hier gibt es so viele Schwule, daß ein Hetero bei den Frauen doch heiß begehrt sein muß. Wenigstens … na, du weißt schon, was ich meine.«
Brian schnaubte verächtlich. Er hatte sich inzwischen auf den Rücken gedreht und die Hände hinter dem Kopf verschränkt. »Gestern abend hab ich mich volle vier Stunden im Slater Hawkins herumgetrieben und versucht, eine Trulla aufzureißen, mit der ich auf dem College nicht ein Wort geredet hätte.«
»Ja, ja«, sagte Michael, der doch etwas bestürzt war über diese Bemerkung. »Es wird immer mehr zu einem Spiel, findest du nicht auch? Das Auspacken macht mehr Spaß als das, was hinterher kommt. Zumindest manchmal …« Er schaute zu Brian hinüber und fragte sich, ob sie sich überhaupt etwas zu sagen hatten.
»Kennst du Mary Ann Singleton?«
»Ja.«
»Weißt du, Mary Ann und ich hatten vor kurzem eine richtige Aussprache, bei der sie mir gesteckt hat, daß sie am liebsten nach Cleveland zurückgehen würde, und ich hab ihr dann alles erzählt, was die Außersinnliche Transzendenz zum eigenverantwortlichen Leben und so zu sagen hat … Das Unheimliche ist aber, daß ich manchmal denke, sie hat recht. Vielleicht sollten wir alle nach Cleveland zurück.«
»Genau. Oder auf eine Farm in Utah oder so. Zurück zum einfachen Leben.«
»Mhmm. Damit hab ich’s auch ab und zu. Vielleicht in ein Dorf in den Bergen von Colorado, wo man nur das Nötigste hat: ein nettes französisches Restaurant und eine Filiale von Design Research.«
Beide lachten. Michael fühlte sich mit Brian sofort viel wohler.
»Eins geht mir wirklich auf die Eier«, sagte Brian. »Du weißt nie, wie Frauen eigentlich sind … jedenfalls nicht für länger. Sie zeigen dir immer nur das, was du sehen sollst. «
Michael nickte. »Und deswegen kreisen deine Phantasien auch immer um das Falsche.«
»Genau.« Brian fing an, die Grashalme zwischen den Ziegelsteinen auszurupfen.
»Mein Gott! So geht’s mir doch die ganze Zeit«, fuhr Michael fort. »Ich lerne in einer Bar oder in der Sauna jemanden kennen … ich meine natürlich einen Mann … und er sieht genau so aus … wie ich mir das immer wünsche. Ein netter Schnauzer, Levi’s, ein gestärktes Khakihemd von der Army … stark … So einer, den man nach Orlando mitnehmen könnte, wie er ist, und bei dem sie’s nicht mal merken würden. Und dann gehst du mit zu ihm nach Hause, Upper Market klarerweise, und du verkneifst dir so lang wie möglich, aufs Klo zu gehen, weil dich das unweigerlich auf die Erde zurückholen und deine Phantasien killen würde …«
Brian sah reichlich verwirrt drein.
»Es geht um das Badezimmerschränkchen«, klärte Michael ihn auf. »Gesichtscremes und Shampoos gleich im Dutzend. Und auf dem Spülkasten haben sie alle so eine kleine goldene Schale stehen mit lauter bunten Seifenkugeln drin!«
Göttin in Ebenholz
Es war Sonntag abend. Die Schwarze aß alleine im
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