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Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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ein Wesen namens Luscious Lorelei. Die platinblonde Perücke des Kerls schwebte über seiner rundlichen Figur wie ein Atompilz über einem Atoll.
    Michael stöhnte und zupfte seine Shorts zurecht. »Scheiße, was tu ich bloß hier, Mona? Wo ich doch früher mal bei den Future Farmers of America war!«
    »Du kümmerst dich um die Miete, falls du das vergessen haben solltest.«
    »Ja, richtig. Ich kümmere mich um die Miete, ich kümmere mich um die Miete. Dies ist eine Tonbandansage …«
    »Nimm’s nicht so tragisch.«
    »Und wenn ich verliere? Oder wenn sie lachen? Nicht auszudenken! Oder wenn sie mich gar nicht beachten?«
    »Du kannst nicht verlieren, Mouse. Die Arschlöcher dort können gar nicht tanzen, und du siehst besser aus als alle zusammen. Du mußt nur an dich glauben!«
    »Danke für die moralische Aufrüstung.«
    »Entspann dich, Mouse.«
    »Ich glaub, ich muß kotzen.«
    »Heb dir das fürs Finale auf.«
     
    Fünf Bewerber um den Einhundert-Dollar-Preis hatten sich bereits ins Zeug gelegt. Der sechste zappelte in einem knappen Leopardenstretchhöschen über die Tanzfläche.
    Das Publikum brüllte vor Begeisterung.
    »Hör dir das an, Mona. Die Sache ist wohl gelaufen.« Michael machte sich insgeheim Vorwürfe, daß er sich für die weißen Standardshorts entschieden hatte. Dieser Pöbel stand ganz offensichtlich auf was Schärferes.
    »Komm schon«, sagte Mona und zog ihn durch die Menge an den Rand der Tanzfläche. »Du bist als nächster dran, Mouse.« Sie blieb auch dann noch neben ihm, als er im Schein einer elektrisch erleuchteten amerikanischen Flagge wartete.
    Sobald der Applaus für Teilnehmer Nummer sechs abgeklungen war, begab sich Luscious Lorelei ans Mikrofon. »Na Jungs, was sagt ihr dazu? Sind denn die Brustmuskeln von diesem Schnittchen nicht einfach SUPERRRRB? Du HEILIGE Jungfrau Maria!« Er wog seinen ausgestopften Busen in Händen. »Beutelreis hat noch nie so gut ausgesehen.«
    Michael spürte, wie der letzte Rest Farbe aus seinem Gesicht schwand.
    »Ruf Mary Ann an«, flüsterte er Mona zu. »Ich geh mit ihr zurück nach Cleveland.« Mona munterte ihn mit einem Klaps auf den Po auf.
    »Okay«, brüllte Lorelei, »unser nächster Teilnehmer ist … Teilnehmer Nummer sieben! Er stammt aus Orlando, Florida, wo die Sonne immer scheint und wo all die WUUUUNDEERBAAREN Früchtchen herkommen, und er heißt Michael … Michael Soundso … Schääätzchen, ich kann deine Schrift nicht lesen. Wenn du da irgendwo rumstehst, könntest du Lorelei vielleicht deinen Namen verraten?«
    Michael hob zaghaft die Hand und sagte: »Tolliver.«
    »Wie war das, mein Schatz?«
    »Michael Tolliver.«
    »OKAAAY! Beifall für Michael Oliver!«
    Michael, der inzwischen einen hochroten Kopf hatte, stieg auf die Tanzfläche hoch, während Lorelei wieder in der Dunkelheit verschwand. Die Nachtschwärmer an der Bar drehten sich zur Begutachtung des Neulings wie auf Kommando um. Die Musik setzte ein. Dr. Buzzard’s Original Savannah Band spielte »Cherchez la Femme«.
    Michael legte bei seinem Körper den Gang ein und bei seinem Hirn den Leerlauf. Er bewegte sich im Takt der Musik und folgte ihrem Rhythmus wie ein Irrwisch. Es war fast so wie in seinem Traum, diesem Alptraum aus der High-School-Zeit, in dem er bei einer Schultheateraufführung die Bühne betreten hatte … in seinen Jockey-Shorts!
    Der Nebel vor seinen Augen lichtete sich lange genug, damit er die Leute erkennen konnte. Ihre glänzenden, braungebrannten Gesichter. Ihre muskulösen Nacken. Und hundert klitzekleine Krokodile, die ihm von hundert Brustkörben höhnisch entgegengrinsten …
    Dann gefror ihm das Blut.
    Denn dort unten in der Menge sah er aus einem Seidenhemd und einem Brioni-Blazer verschwommen das eine Gesicht herausragen, das er hier ganz und gar nicht sehen wollte. Ihre Blicke trafen sich, doch nur einen Moment lang, denn der andere verzog voller Abscheu das Gesicht und wandte sich ab.
    Jon.
     
    Die Musik hörte auf. Michael sprang von der Bühne hinunter in die Menge, hatte aber keinen Sinn für die Hände, die sich ihm gratulierend entgegenstreckten und seinen Körper streiften. Durch einen Nebel aus Poppersschwaden bahnte er sich einen Weg zur Schwingtür in der Ecke der Disco.
    Jon war gegangen.
    Michael stand in der Tür und sah der schlanken Gestalt nach, die auf der Sixth Street immer kleiner wurde. Jon war in Begleitung von drei anderen Männern, die ebenfalls Anzüge trugen. Die vier brachen kurz in schallendes

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