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Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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Vitaminpräparate.« Er deutete auf einen Musterkoffer in der Zimmerecke. Mary Ann erkannte das Firmenzeichen.
    »Oh … Nutri-Vim. Davon hab ich schon gehört.«
    »Die reine Natur.«
    Mary Ann war überzeugt, daß seine Begeisterung bloß geschäftsmäßig war. Denn Natürliches konnte sie an Norman Neal Williams rein gar nichts entdecken.
Erweckung wie in alten Zeiten
    Am Sonntagmorgen ging Mona in die Kirche.
    In alten Zeiten – nach Woodstock und vor Watergate – war sie häufig in die Kirche gegangen. Nicht in irgendeine Kirche, wie sie dann immer rasch dazusagte, sondern in eine Basis gemeinde, in eine Kirche mit Relevanz.
    Das war alles lange vorbei. Mona war fertig mit der Basis, und die Relevanz war inzwischen genauso außer Mode wie Pukamuscheln. Trotzdem empfand sie bei der Rückkehr in die Glibb Memorial Church ein wonniges Nostalgiegefühl.
    Vielleicht war es die Lightshow, oder die Rockgruppe … oder es waren die Afro-Aphrodisiaka des Reverend Willy Sessums, der zappelnd wie ein Mr. Bojangles von Gottes Gnaden den Dritte-Welt-Sozialismus anging.
    Vielleicht war’s aber auch die Quaalude, die sie beim Frühstück genommen hatte.
     
    Egal.
    Heute fühlte sie sich abgeklärt. Ausgeglichen. Sie war ein karmisches Rädchen in dem großen, taumeligen Getriebe von Glibb Memorial. Sie sang mit der Inbrunst einer Südstaaten-Baptistin und wurde dabei unterstützt von ihren Nachbarn, einem Holzfäller aus dem Noe Valley und einer Fummeltrine aus dem Tenderloin, die in einem korallenroten Debütantinnenkleid steckte.
     
    He’s got the Yoo-nited Farm Workers
    In His hands!
    He’s got the Yoo-nited Farm Workers
    In His hands!
     
    »Jawohl!« rief Reverend Sessums, der mit einem Lederbeutel voll schwarzem Juju-Zauberstaub zwischen seinen Schäfchen hin und her flitzte. »Unser Herr Jesus liebt dich, Bruder! Und er liebt auch dich, Schwester!«
    Das galt Mona. Mona persönlich. Reverend Willy Sessums lächelte sie strahlend an, umarmte sie und bestreute sie mit Juju-Staub.
    Trotz der Quaalude verkrampfte Mona sich, und das ärgerte sie genauso wie der Zynismus, der ihre Verlegenheit verdeckte, sobald es um etwas Persönliches ging. Der Reverend sollte sie in Ruhe lassen.
    Was er natürlich nicht tat.
    »Hörst du mich, Schwester?«
    Sie nickte, lächelte zaghaft.
    »Unser Herr Jesus liebt dich! Er liebt uns alle! Die Schwarzen und die Braunen und die Gelben und die Weißen … und die Rosaroten.« Das letzte galt dem Mann im Ballkleid.
    Mona schaute zu der Fummeltrine hinüber. Sie hoffte, daß Sessums in ihr ein neues Opfer gefunden hatte.
    Hatte er nicht.
    »Wenn du Willy glaubst … wenn du glaubst, daß Unser Herr Jesus dich mehr liebt als die Ölgesellschaften, als das Big Business, als die chauvinistischen Männerschweine und als das Armed Services Committee des Repräsentantenhauses … wenn du das glaubst, Schwester, dann laß den alten Willy ein ›Ja, ich glaub’s!‹ hören.«
    Mona schluckte und sagte: »Ja, ich glaub’s.«
    »Wie war das, Schwester?«
    »Ja, ich glaub’s.«
    »Sag es laut, Schwester, damit Unser Herr Jesus dich hören kann!«
    »Ja, ich glaub’s. «
    »Wuuunnnnnderbaaaar! Du bist ganz toll, Schwester!« Sessums tänzelte und klatschte wieder im Rhythmus der Musik und zwinkerte Mona so vertraulich zu, als wäre er der Komiker eines Nachtclubs, der über sie gerade einen harmlosen Witz gerissen hatte.
    Die Band stimmte »Love Will Keep Us Together« an, und Sessums ging weiter.
    »Ich könnte jedesmal sterben, wenn das kommt«, gestand die Fummeltrine Mona, als sie den Song erkannte. »Findest du Captain and Tennille nicht auch supertoll?«
    Mona nickte. Sie faßte sich langsam wieder.
    Ihr Nachbar wühlte in seiner Handtasche, beförderte einen vibratorförmigen Inhalierstift zutage und hielt ihn Mona hin.
    »Popper dir einen, Schätzchen.«
     
    Nach der Kirche fuhr Mona zurück in die Barbary Lane, wo sie in eine düstere, kontemplative Stimmung verfiel.
    Sie war einunddreißig. Sie hatte keinen Job. Sie lebte mit einem Mann zusammen, der sie jeden Augenblick wegen eines anderen Mannes verlassen konnte. Und ihre Mutter in Minneapolis hatte irgendwie nicht mehr die Energie, sich mit ihr zu beschäftigen.
    Ihr einziger echter Schutzengel war Anna Madrigal, doch das Interesse der Vermieterin war in der letzten Zeit so groß geworden, daß es Mona nervös machte.
    Weiter absacken ging nicht mehr, sie war jetzt ganz unten.
     
    Das Telefon

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