Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten
ist dann los?«
Er betrachtete sie kurz und schüttelte dann bedächtig den Kopf. »Wem machen wir denn was vor, Prue? Deine Bekannten würden uns dieses Theater nie abnehmen.«
»Luke … meine Bekannten würden hingerissen sein von dir.«
»So wie die alte Vettel mit den vietnamesischen Waisenkindern? Nein danke! Es interessiert mich nicht, die Bourgeoisie zu umschmeicheln … und das würden diese Leute innerhalb von zehn Minuten merken. «
Prue war pikiert und machte kein Hehl daraus. »Wenn du’s genau wissen willst: Die alte Vettel, wie du sie nennst, hat ihre Tochter und ihre beiden Enkelkinder in Guyana verloren. Die Waisenkinder sind offensichtlich ihr Versuch, sich für den Verlust ihrer …«
»Wie heißt siel«
Die Heftigkeit seiner Frage erschreckte sie. »Frannie Halcyon. Ich hab euch doch vorgestellt, oder?«
»Nein. Wie die Tochter heißt.«
»Ach so. DeDe Day. DeDe Halcyon Day. Die Zeitungen haben sich damals schier überschlagen. Du mußt es auch gelesen … Luke, stimmt was nicht?«
Er stand stocksteif da. Seine Hände umkrampften die Reling. Eine Ader in seinem Hals pulsierte, und seine Atmung hörte sich merkwürdig unregelmäßig an.
Prue versuchte, den Schaden wiedergutzumachen. »Luke, ich weiß, daß du sensibel bist. Das sollte kein Vorwurf sein, daß du …«
Er drehte sich um und schaute sie an. »Ist schon gut … schon gut. Entschuldige, daß ich dich angeraunzt habe. Kannst du mir verzeihen? Würdest du mir verzeihen?«
»Ach, Luke!« Sie nahm ihn in die Arme und weinte an seiner Schulter. »Ich liebe dich, mein Schatz. Ich würde dir alles verzeihen.«
»Ich bete darum, daß das nie nötig wird«, sagte er.
Gedankenübertragung
Seit neuestem erledigte Mary Ann ihre Bankgeschäfte in der Zweigstelle der Bank of America an der Columbus Avenue. Sie verkehrte in diesem eleganten alten Wahrzeichen von North Beach erstens, weil dort ein Woody-Allen-Film gedreht worden war (Woody, der Unglücksrabe), und zweitens, weil die Angestellten dort freundliche und schwatzhafte Italienischstämmige waren.
Auch an diesem Tag wurde sie nicht enttäuscht.
»Mein Mann und ich haben uns nie angepaßt«, verkündete eine besonders energische Angestellte von Ende Dreißig. Sie gab diese Information mit solchem Ernst preis, daß man beinahe glauben konnte, Mary Ann hätte sie von ihr verlangt.
»Ach, wirklich?« sagte Mary Ann.
»Nie. Nie. Vor ewigen Zeiten, als anständige Mädchen mit anständigen Jungs noch nicht ohne ehelichen Segen zusammengelebt haben, waren Joe und ich natürlich doch auf dem Trip. Dann haben plötzlich alle einfach so zusammengelebt. Was machen wir also? Wir heiraten. Okay, als nächstes stellt sich raus, das Bevölkerungswachstum ist auf Null, und niemand kriegt mehr Kinder. Richtig? Falsch. Joe und ich kriegen ein Kind nach dem anderen. Jetzt sind Kinder plötzlich wieder furchtbar schick, und viele Frauen in meinem Alter machen Mutterschaft und Midlife-crisis auf einen Schlag durch. Unsere Kinder sind aber schon Teenager und ziemlich selbständig. Joe und ich können also unsere Midlife-crisis in aller Ruhe und vor allem geplant angehen. Er hat beschlossen, sich einen Porsche zu kaufen und eine Affäre mit einer Neunzehnjährigen anzufangen. Meine Pläne gehen so ziemlich in dieselbe Richtung. Ich sag Ihnen … da kommt schon so ’n bißchen Schadenfreude auf.«
Der reizende Lebensabriß – und der Scheck von Frannie Halcyon, den sie eben eingereicht hatte – ließen Mary Ann auf dem ganzen Heimweg schmunzeln.
Dann aber nahm sie sich die Zeit, um über ihre eigenen Optionen nachzudenken:
Kinder würde sie natürlich haben. Das war schon immer klar gewesen. Aber wann? Sie war jetzt dreißig. Wann? Nachdem sie beruflich Tritt gefaßt hatte? Wann würde das sein? Waren Kinder gleichbedeutend mit Heirat? So modern war sie ja auch wieder nicht, oder? Was war mit Brian? Würde eine Heirat seine Verunsicherung wegen ihrer aufwärtsstrebenden Karriere verstärken? Wollte er in dieser Situation überhaupt heiraten? War es fair, ihn um Geduld zu bitten? Würde er warten?
Wer sollte als erstes fragen?
Sie schliefen in dieser Nacht bei ihr. Kurz vor dem Morgengrauen merkte sie, daß er aufstand. Sie wälzte sich auf die andere Seite und schlief noch ein bißchen. Als sie eine halbe Stunde später wach wurde, saß er nackt im Ohrensessel gegenüber dem Bett.
»Tun wir’s doch einfach«, sagte er leise.
Sie rieb sich die Augen. »Was?«
»Heiraten.«
Sie
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