Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten
Wunder bekam er mitten aus dem Gewühl eine Reaktion. Es war ein kräftig gebauter Bär, dessen Lächeln für einen Mann von seiner Statur entwaffnend scheu wirkte. Er prostete Michael mit seiner Bierdose freundlich zu.
Michael erwiderte die Geste. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals.
Der Mann kam auf ihn zu.
»Ganz gut, hm?« Er meinte die Musik.
»Wunderbar«, sagte Michael.
»Kannst du auch Engtanz?« fragte der Mann.
»Klar«, log Michael.
Wie lasse ich mich führen?
Mit seinen einsfünfundsiebzig geriet Michael neben dem Mann, der ihn zum Tanzen aufforderte, zum Zwerg.
Und es gab noch eine weitere Komplikation: Dieser baumstarke Sexbolzen erwartete eindeutig, daß Michael sich führen ließ – etwas, woran Michael seit seinem Abschlußball an der Orlando High im Jahr 1968 keinen Gedanken mehr verschwendet hatte. Und damals hatte sich natürlich Betsy Ann Phifer führen lassen.
Michael erinnerte sich, daß es einen Trick gab. Ned hatte ihn im Trinity Place gelernt, wo jeden Dienstagabend Squaredance getanzt wurde: Streck den rechten Arm leicht vor und berühr sein rechtes Bein so – im Rahmen des Schicklichen natürlich –, daß du die Bewegung seines Körpers spürst.
Aha. So weit, so gut.
Es war etwas merkwürdig, alles andersrum zu machen, aber auch irgendwie toll. Michael lehnte den Kopf an die große braune Türmatte auf der Brust seines Partners und nahm den Rhythmus der Musik auf.
Ed Bruce war noch immer auf der Bühne. Er sang jetzt »Everything’s a Waltz«.
Der Mann trat Michael auf den Fuß. »Entschuldige«, sagte er.
»Macht nichts«, sagte Michael.
»Es ist alles noch was neu für mich.«
»Nicht nur für dich«, sagte Michael grinsend.
Ihm fiel ein, daß in San Francisco vor gar nicht allzu langer Zeit Männer tatsächlich eng getanzt hatten. Er rief sich die Schlußphase dieser Ära – so zirka 1973 – in Erinnerung. Schon der bloße Anblick hatte ihn abgestoßen: Erwachsene Männer tanzten im Rendezvous Wange an Wange, schwitzige Hand an schwitziger Hand, und im Hintergrund quälte sich die Streisand mit »People« ab.
Dann war Disco gekommen, ein Jahrzehnt des simulierten Vögelns, der gesichtslosen Körper, die sich einem mystischen Stammesritus hingaben – was für Michael etwas Beglückendes und zugleich Einschüchterndes hatte. Woran es dieser Epoche gemangelt hatte, das fanden einige Leute jetzt in der Country-Musik. Nämlich: Romantik.
»Wo kommst du her?« fragte Michael.
»Arizona«, antwortete der Mann.
»Könnt ich den Ort kennen?«
»Kaum. Das Kaff heißt Salome. Fünfhundert Leute.«
Dann war er ein echter Cowboy. Das erklärte die Hände. Sie fühlten sich an wie Elefantenhaut. Bill konnte ihm den Buckel runterrutschen. »Salome«, wiederholte Michael mit dem Zungenschlag des Kerls (Saloam). »Wie bei Oscar Wilde?«
»Bei wem?«
Michaels Herz schlug schneller. Er hat noch nie was von Oscar Wilde gehört. Du lieber Gott, ein Volltreffer? »Ach, vergiß es«, sagte er. »Ist unwichtig.«
War es auch. Michael fühlte sich in den Armen dieses Mannes rundum wohl. Selbst sein linkisches Verhalten war liebenswert. Entscheidend war aber nicht der Mann, hielt Michael sich vor Augen, sondern waren die Umstände. Zwei dominante Kulturen – die eine sehr hetero, die andere sehr schwul – hatten ihm dieses simple Vergnügen immer verwehrt. Er hätte heulen können vor Freude.
»Bist du … äh … beim Rodeo mitgeritten?« fragte er.
»Fürchte nein. Ich bin bloß Bauarbeiter.«
Bloß Bauarbeiter! Mein Gott, war er gestorben und in den Himmel gekommen? Warum hatte ihm niemand gesagt, daß es einen Ort gab, an dem er mit einem Bauarbeiter engtanzen konnte?
»Wie kommst du in Salome zu … zu so was wie hier?« fragte Michael.
Der Mann rückte gerade so weit von Michael ab, daß sein Lächeln zu sehen war. »Ich fahre nach Phoenix.« Er beugte sich vor und küßte Michael unbeholfen seitlich auf den Mund. »Du bist ein netter Kerl«, sagte er.
»Du auch«, sagte Michael.
Sie tanzten schweigend weiter. Dann raunte ihm der Mann mit einem heiseren Flüsterton ins Ohr: »Hör mal … hättest du Lust, heut abend mit mir zu schlafen?«
Mit ihm schlafen. Nicht vögeln. Nicht ficken. Michael verschlug es fast die Sprache. »Eigentlich … bin ich … mit einem Freund da. Er ist … nur grade weg.«
»Ach so.« Seine hörbare Enttäuschung wärmte Michael bis ins Mark.
»Ich könnte dir meine Telefonnummer geben. Wenn du mal nach San Francisco kommst, könnten
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