Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten
State Fairgrounds drehte sich ein eineinhalb Meter großer verspiegelter Stiefel samt Sporen und streute seinen glitzernden Segen unter die versammelten Massen. Die Veranstaltung trug das Motto »Stand By Your Man«, und genau das taten die meisten Tänzer auch.
Michael blickte zu dem glitzernden Fetisch hinauf und seufzte. »Hat das nicht Pep?« fragte er Bill.
Der besah sich den Stiefel für den Bruchteil einer Sekunde und verzog gleich darauf das Gesicht. »Scheiße!«
»Was ist?« fragte Michael.
»Ich hab kein Poppers besorgt.«
Michael lächelte. »Hier wird doch sowieso Country und nicht Disco gespielt.«
»Nein«, sagte Bill. »Ich meine … für nachher.«
»Ach so.«
»Vielleicht verkaufen sie im Chute welches.«
»Mir ist das ziemlich …«
»Die wissen dort sicher, wo man welches kriegt.«
»Ich brauch keins«, sagte Michael. »Wenn du welches willst, dann …«
»Brauchen tu ich auch keins«, blaffte Bill ihn an. »Ich will bloß welches.«
Michael wollte keinen Streit. »Gut«, sagte er gelassen. »Was sollen wir tun?«
»Ich mach mich vom Acker und fahr in die Stadt«, antwortete Bill. Er hörte sich jetzt weniger aggressiv an. »Du kannst ja hier die Stellung halten. Es wird nicht lang dauern. Okay?«
Michael nickte. Die ungewollt ländliche Ausdrucksweise seines Freunds hatte ihn schon beinahe versöhnt. Sich vom Acker machen. Die Stellung halten. Genausogut hätten sie den Wagen zu einer Ausfahrt nach Dodge City anspannen können. »Okay«, sagte er lächelnd. »Ich bleib hier.«
Bill kuschelte sich kurz an ihn, flüsterte ihm: »Du scharfer Kerl du!« ins Ohr und verschwand in der Menge.
Es war so was wie eine Flucht, wurde Michael klar. Bill konnte die Musik nicht ausstehen. Mit Hilfe seines Walkman und einer Air-Supply-Kassette war er beim Rodeo über die Runden gekommen. Doch die Aussicht darauf, sich einen ganzen Abend lang den Country-Songs von Ed Bruce, Stella Parton und Sharon McNight auszusetzen, verkraftete er offenbar nicht.
Michael war erleichtert. Er fühlte sich an diesem Abend zerbrechlich und gefühlsduselig – ihm war himmelschreiend romantisch zumute –, und er wußte, daß diese Empfindungen neben Bills nervtötendem Realismus nicht lange Bestand gehabt hätten. Was ihn störte, war nicht das Poppers – er fuhr selbst auf das Zeug ab –, sondern die gefühlstötende Art, mit der sie den Sex manchmal auf ein sportliches Ereignis reduzierten, das nach zeitlicher Abstimmung, Wendigkeit und entschieden zuviel Vorausplanung verlangte.
Wieviel Arbeitszeit, fragte er sich, hatten sie im zerwühlten Bett schon mit der Suche nach dem dämlichen braunen Fläschchen verschwendet?
Dabei war es eigentlich nicht Bills Schuld. Er genoß den Sex mit Michael. Er genoß ihn genauso, wie er das Kinogehen mit Michael genoß oder angeregte Männergespräche mit Michael oder ausschweifende nächtliche Pizzamampfereien mit Michael. Er hatte nur offenbar nie den Drang verspürt, das alles mit ein bißchen Romantik auszupolstern. Aber das war nicht Bills Problem; es war das von Michael.
Michael stellte sich an den Rand der Tanzfläche und schaute zu, wie die Paare Schulter an Schulter dahinschlurften, als sie den Cotton-Eyed Joe tanzten. Michael spürte, daß im Saal eine urwüchsige Freude herrschte – das Ereignis war begeisternd, weil es so unerwartet war. Tunten tanzten Cowboytänze. Wer hätte das gedacht? Jungs, die in Galveston und Tucson und Modesto groß geworden waren, tanzten die Volkstänze ihrer Heimatgegend, und das endlich mit dem Partner ihrer Wahl.
Da spielte es fast keine Rolle mehr, daß am Highway Teenager den Neuankömmlingen »Schwuchtel« hinterherschrien. Hier drin gab es ohne weiteres genug Brüderlichkeit, um selbst dem Teufel Paroli zu bieten.
Ed Bruce watschelte auf die Bühne. Er war ein massiger Kerl vom Typ Marlboro Man, etwas über vierzig, und er sang von Golfspielen und Frauchen zu Hause, als würde er in Oklahoma City vor einer Versammlung der Veterans of Foreign Wars auftreten. Sein großer Hit – »Mamas, Don’t Let Your Babies Grow Up to Be Cowboys« – gewann in dieser ziemlich unmöglichen Umgebung einen köstlichen ironischen Akzent.
Vor zwanzig Jahren, dachte Michael, waren schwule Männer damit zufrieden gewesen, in der Carnegie Hall Judy Garland zuzukreischen. Jetzt konnten sie engumschlungen miteinander tanzen, während ein Nashville-Cowboy ihnen ein Ständchen brachte. Michael mußte unwillkürlich schmunzeln.
Wie durch ein
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