Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten
wir vielleicht …«
»Schon okay.«
»Du warst noch nie dort, hm?«
»Bis jetzt nicht«, sagte der Mann.
»Ich glaub, es würde dir gefallen. Ich könnte dir die Stadt zeigen.«
»Ich komm nich viel rum«, sagte der Mann.
Michael entschied sich dagegen, einen Besuch in Salome vorzuschlagen. »Hör mal«, sagte er, »glaubst du mir, wenn ich dir sage, daß ich’s mit dir grade toller finde als beim ganzen Sex, den ich dieses Jahr schon hatte?«
Der Mann grinste. »Echt?«
»Kein Vergleich«, sagte Michael.
»Ich tret dir doch dauernd …«
»Das ist mir egal. Ich find’s toll.«
In der Brust des Mannes dröhnte es, als er lachte.
»Du machst das ganz wunderbar«, sagte Michael. »Halt mich nur weiter fest, okay?«
»Klar.«
Michael schmiegte sich also wieder an, um in den Armen des liebreizenden Fremdlings zu träumen, bis Bill mit dem Poppers zurückkam.
Gletscherkunde
Alsdie Sagafjord nach Juneau kam, gingen Prue und Luke mit den übrigen Passagieren an Land und erkundeten das kleine Grenzstädtchen – eine Siedlung, die von der örtlichen Handelskammer als »Amerikas größte Hauptstadt« apostrophiert wurde.
»Das muß ein Witz sein«, sagte Prue, die sich über die Broschüre in ihren Händen wunderte.
Luke schüttelte den Kopf. »Sie meinen die Ausdehnung.«
»Aber, wie …?«
»Juneau erstreckt sich über mehr Quadratkilometer als jede andere Hauptstadt. Hier oben ist alles aus der Proportion geraten. Von hier bis zu den Aleuten am anderen Ende des Staats ist es weiter als von San Francisco nach New York.«
Prue dachte kurz nach. »Irgendwie ist das ein bißchen beängstigend.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht. Wahrscheinlich, weil man sich da so klein vorkommt. Als könnte die Landschaft … einen verschlucken. Man könnte hier verschwinden, ohne Spuren zu hinterlassen.«
Luke lächelte sie an. »Das passiert auch. Darum geht’s ja.«
Prue schüttelte sich. »Aber nicht für mich.«
»Warte, bis du erst den Gletscher siehst.«
»Welchen Gletscher?«
Luke legte ihr den Arm um die Taille. »Ich hab mir gedacht, wir mieten ein Wasserflugzeug und fliegen über die Eisfelder. Es heißt, man fühlt sich Gott dort so nahe wie nirgendwo sonst.«
Prue schaute beunruhigt drein. »Kann er nicht einfach zu uns kommen?«
Lukte tippte ihre Nasenspitze an. »Was ist mit dir, mein Schatz?«
»Nichts … nur … na ja, diese kleinen Flugzeuge und mein Magen kommen meistens nicht so gut miteinander aus.«
»Es dauert nur eine Dreiviertelstunde.«
Er zog sie enger an sich und hielt sie fest, bis sie nachgab. Ihr wurde bewußt, daß er in mancher Beziehung schon zu ihrem Talisman geworden war, der sie vor Gefahren schützte.
Das Flugzeug glitt über die Wasseroberfläche wie eine Libelle im Tiefflug, bevor es sie in den schiefergrauen Himmel über Juneau hinauftrug. Außer Prue und Luke gab es noch vier andere Passagiere: ein ziemlich junges Ehepaar aus Buenos Aires und zwei Bibliothekarinnen, die gemeinsam auf Reisen waren.
Luke saß direkt hinter dem Piloten und unterhielt sich unhörbar mit ihm, während Prue zusah, wie die fremde Welt unter ihr sich aus dem Dunkelblauen ins Dunkelgrüne und dann ins Weiße verwandelte. Nein, ins Graue. Ein blaßgraues Plateau, so weit das Auge reichte – ein lebendiges Gebilde, an den Rändern gewellt wie Lava, archaisch und schön und auf unerklärliche Weise beklemmend.
Sie war etwas erleichtert, daß der Gletscher Grenzen hatte. Splitternd und zischend stürzte er in die dunkle See, deren Wasser knisterte, als wäre es elektrisch geladen. Als das Wasserflugzeug tiefer ging, spähte Prue in Spalten, die so strahlend blau waren, daß sie unnatürlich wirkten – blau wie der tödliche Kern eines Atomkraftwerks.
»Sieh doch, Luke … diese Farbe!«
Doch ihr Liebhaber war ganz in seine Unterhaltung mit dem Piloten vertieft, und der Motorenlärm übertönte ihre Stimme.
Prue rückte näher an ihn heran. »Luke …«
Er hörte sie nicht. Mit gespannter Miene fragte er den Piloten weiter aus. Prue konnte nur zwei Wörter verstehen. Der Pilot wiederholte sie seltsamerweise.
Verärgert ließ sie sich in den Sitz zurückfallen. Dieser Augenblick hätte allein ihnen gehören sollen: ihr und Luke. Das kumpelhafte Getue mit dem Piloten war unentschuldbar egoistisch und gedankenlos. Als Luke sich schließlich wieder zurücklehnte und ihre Hand drückte, ließ sie ihn spüren, daß sie schmollte.
»Ist was mit dir?« fragte er.
Sie wartete einen
Weitere Kostenlose Bücher