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Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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was?«
    Frannie nickte. Die extreme Peinlichkeit der Situation machte ihr bereits zu schaffen. Sie stand schließlich dem Mann gegenüber, der die Zwillinge auf die Welt geholt hatte. Würde sie gezwungen sein, auch ihm wegen der »Waisen« in ihrer Obhut etwas vorzumachen? Und würde er ihr glauben?
    »Ich komme mir so dumm vor damit«, sagte Frannie matt.
    Das Lächeln des Doktors strahlte die gleiche blendende Frische aus wie seine Uniform. »Womit?« fragte er.
    Frannie berührte ihre Körpermitte. »Ich habe Magenprobleme. Reife Frauen sollten doch eigentlich nicht mehr seekrank werden, oder?«
    Der Doktor zuckte mit den Schultern. »Ich fürchte, da macht die Seekrankheit keine Unterschiede. Ich bin auch nicht wirklich gefeit davor und fahre schon ein Jahr zur See. Wie weit oben sind Sie denn?«
    »Wie bitte?«
    »Wo Ihre Kabine ist. Haben Sie eine von den Suiten?«
    Frannie nickte. »Auf dem Terrace-Sun-Deck.«
    »Das hab ich mir gedacht«, sagte der Doktor grinsend.
    »Wieso?«
    »Na ja … der Seegang überträgt sich da oben stärker. Sobald die See ein bißchen unruhig wird, bekommen es die Luxussuiten als erstes zu spüren.« Er zwinkerte ihr gewinnend zu. »Das Fußvolk hier unten im Schiffsbauch hat es da etwas leichter.«
    Frannie wurde von Minute zu Minute übler. »Dann kann ich wohl kaum etwas tun, oder?«
    Der Doktor öffnete einen weißen Metallschrank. »Sie nehmen eine kleine Dramamine und legen sich hin.« Er reichte Frannie eine Tablette und einen Pappbecher voll Wasser. »Haben Sie Zeit, mir ein bißchen Gesellschaft zu leisten? Es ist ein ruhiger Tag. Wir bleiben wahrscheinlich ganz ungestört.«
    Frannie ging bereitwillig darauf ein. Kein Wunder, daß DeDe diesen Mann angebetet hatte.
     
    Sie streckte sich auf der Liege aus, und er setzte sich auf einen Stuhl daneben. Nach Tagen, die sie mit den Zwillingen bereits auf See war, tat es gut, daß jemand sie bemutterte.
    Sie schwiegen beide längere Zeit, bis er sagte: »Es tut mir leid, was mit DeDe und den Kindern passiert ist, Mrs. Halcyon. Ich habe erst … einige Zeit danach davon erfahren.«
    Sie meinte, ihr Herz würde zerspringen. Sie lechzte danach, diesem liebenswürdigen, mitfühlenden Menschen von ihren großartigen Neuigkeiten zu berichten. Statt dessen sagte sie: »Danke, Dr. Fielding. DeDe hatte sie schrecklich gern.«
    Nach einer neuerlichen Pause sagte er: »Ich hab damals gerade in Santa Fegearbeitet, als ich davon gelesen habe.«
    »Ach ja?« Sie stürzte sich auf die Gelegenheit, über etwas anderes zu sprechen.
    »Ich hatte dort einige Zeit eine gynäkologische Praxis, bevor ich mich wieder auf die Allgemeinmedizin verlegt und mir diesen Job besorgt habe. Mein Leben ist damals etwas … aus dem Ruder gelaufen … und mit der Arbeit hier bin ich dem Anheuern auf einem Bananendampfer ja schon sehr nahe.«
    »Sie müssen inzwischen die ganze Welt gesehen haben«, sagte Frannie. »Beneidenswert.«
    »Es ist … nicht schlecht«, antwortete der Doktor. Seine Stimme hatte einen wehmütigen Unterton, der Frannie neugierig machte.
    »Alaska ist wirklich ungewöhnlich«, sagte sie. »Es ist so riesig … und erst die Fjorde! Sie sind geradezu wagnerianisch … so überwältigend, so erschütternd. Ich bedaure nur …« Sie unterbrach sich.
    »Was bedauern Sie?«
    Frannie lächelte schwach und blickte zur Decke. »Mir war entfallen, daß Sie ihn nie kennengelernt haben.«
    »Wen?«
    »Edgar, meinen Mann. Er fehlt mir sehr auf dieser Reise. Wenn man verwitwet ist, Doktor, schmerzt eines am allermeisten: daß man seinen Spielkameraden verloren hat. Man hat den Menschen verloren, mit dem man einen Berg betrachten konnte und dabei wußte, was beide dachten … den Menschen, mit dem man gemeinsam schweigen konnte. Es dauert lange, bis man das erreicht hat … und es fällt schwer, darauf zu verzichten.«
    »Ich weiß«, sagte er.
    »Sie sind nicht verheiratet, oder?«
    »Nein.«
    »Hatten Sie schon einmal einen Menschen, mit dem Sie …?«
    »Einmal«, antwortete er. »Einmal habe ich so etwas erlebt.«
    »Dann wissen Sie, wie das ist.«
    »Ja.«
    Frannie zögerte, weil sie mit einemmal fürchtete, zu persönlich zu werden. Dann fragte sie: »Wie haben Sie … sie verloren?«
    Schweigen.
    »Tut mir leid«, sagte die Matriarchin. »Ich wollte nicht …«
    »Schon gut«, sagte der Doktor. »Ich weiß genau, was Sie mit den Bergen meinen: Daß sie nicht mehr so aussehen wie damals.«

Auf Schmusekurs
    Über der Tanzfläche der Nevada

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