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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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funkelnden Lichter von drei Dörfern und die von innen erleuchteten bunten Fenster der Familienkapelle von Easley sehen. Immer wieder glitten Scheinwerfer über ein Feld neben dem Herrensitz – sie gehörten zu den Autos, mit denen auf der Straße von Easley-on-Fen nacheinander die Gäste eintrafen. Ein unsichtbarer Organist schlug probeweise einige Akkorde an. Durch den Hof hinter dem Haus hallte das schrille Lachen einer Frau. Hier saß er nun, auf einem Hügel, von dem man bis nach Wales schauen konnte, und dort unten war Mona – die ihr Schicksal wahrscheinlich verfluchte – im Begriff, die Ehe einzugehen.
    Er empfand absolut gar nichts.
    Ein Rädchen in seinem emotionalen Mechanismus hatte aufgehört zu funktionieren. Alles war ihm egal. Man hatte lange genug auf seinen Gefühlen herumgetrampelt.
    Er wollte hier warten, bis es vorbei war. Dann wollte er Wilfred suchen, und sie würden jemanden bitten, sie nach Moreton-in-Marsh mitzunehmen. Sie konnten im Black Bear übernachten und am Morgen den ersten Zug nach London nehmen.
    Aus der Kapelle orgelte mit Gebraus ein unbekanntes anglikanisches Kirchenlied. Fast gleichzeitig wurde die Abenddämmerung von Monas unverkennbarem Organ erschüttert: » Mouse! Wo bist du, verdammt! «
    Sie stand auf dem Hof und sah sich suchend um – wie an jenem Tag im Hampstead Heath, nur daß sie jetzt mit einem rosa Hochzeitskleid ausstaffiert war. »Ich laß mir so ’n Scheiß nicht bieten, Mouse! «
    Er zögerte noch einen Augenblick, dann rief er: »Ich bin hier oben. Beim Pavillon.«
    Sie fuhr herum und nahm den Pavillon ins Visier. Dann raffte sie den Saum ihres Kleids bis zu den Knien und lief den Hang hinauf. Ihre Flüche explodierten wie Knallfrösche, sooft sie mit ihren hohen Absätzen in ein Maulwurfsloch trat. Als sie oben ankam, war sie völlig außer Atem. »Warum hast du’s mir nicht gesagt?«
    Er antwortete nicht.
    »Wilfred hat es mir grade erzählt. Ich kann’s nicht fassen! Was ist denn los mir dir? Warum hast du’s mir nicht gesagt, verdammte Scheiße?«
    »Du heiratest«, sagte er. »Das ist kaum der richtige Moment, um …«
    »Ach, Scheiß doch drauf! Ich hatte ein Recht, es zu erfahren!«
    »Du hast dich kein einziges Mal nach ihm erkundigt …«
    »Na schön, dann bin ich eben ein egoistisches Arschloch! Was soll ich denn sagen? Herrgott, Mouse … du hast es drauf angelegt, daß ich dir weh tue! Du hast absichtlich …« Sie brach ab. Tränen liefen ihr übers Gesicht. »Er kann nicht tot sein!« sagte sie mit schwächerer Stimme. »Wie kann dieser wunderbare Mann tot sein?«
    Er spürte, wie ihm die Knie weich wurden. »Ich weiß nicht«, sagte er, und als er die Hände nach ihr ausstreckte, kamen auch ihm die Tränen.
    Lange hielten sie einander fest und schluchzten.
    »Wir haben versucht, dich zu erreichen«, sagte er schließlich.
    »Ich weiß.«
    »Ich sollte dir einen lieben Gruß von ihm sagen. Er wollte, daß ich dir den Türkisring gebe, der dir immer so gefallen hat.«
    »O Gott, Mouse!«
    »Ich weiß. Es ist fürchterlich. Ich weiß.«
    »Hat er sehr gelitten?«
    »Schon. Eine Zeitlang. Nicht immer. Er hat es bewundernswert ertragen … hat Witze gerissen und Tallulah Bankhead imitiert … und mit den Pflegern geflirtet.«
    »Dieses Nuttchen.« Sie wischte sich die Tränen ab.
    »Sie waren natürlich begeistert. Als Arzt kannte er sich ja mit dem ganzen Kram aus. Es war nicht so schlimm, Mona. Nicht die ganze Zeit. Wir haben noch mehr zueinander gefunden. Nicht nur er und ich … wir alle. Man weiß gar nicht richtig, was man an einer Familie hat, bis einer stirbt. Bis so was passiert, hat man gar keine Vorstellung davon.«
    Sie drückte ihn von sich weg. »Und du hast es mir nicht sagen wollen.«
    »Was meinst du, warum ich dir quer durch England gefolgt bin?«
    »Ich weiß nicht. Um mich zu strafen, nehm ich an. Damit ich mich beschissen fühle. Deine üblichen Motive.«
    Er lächelte. »Du irrst dich. Und du verpaßt deine Trauung.«
    »Scheiße, die kann auch noch ’ne Minute warten. «
    »Ja, Ma’am. «
    »Ich muß jetzt mal was wissen.«
    »Was?«
    »Haben wir uns … immer noch gern?«
    »Mona …«
    »Ich hab dich nämlich gern, du kleines Aas … und wenn du denkst, du kannst so tun, als wär’s nicht so, dann kannst du mich mal!«
    Er war gerührt und lächelte sie an.
    »Gut, ich hätte mich melden sollen«, sagte sie. »Damit hast du recht. Ich hätte anrufen sollen … völlig klar. Und ich hätte im Park nicht vor dir

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