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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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war.
    Nein.
    Simon war doch mit zur Morgenandacht gegangen.
    Vielleicht hatte er es sich doch noch anders überlegt.
    Vielleicht hatte er in letzter Minute abgesagt.
    Vielleicht hatte er da eine aufgegabelt.
    Vielleicht auch nicht.
    Vielleicht war es gar nicht nötig gewesen.
    Er stand jetzt vor seiner Wohnungstür und stellte fest, daß abgeschlossen war. Er tastete nach seinen Schlüsseln, und das Blut hämmerte in seinen Schläfen. Bleib cool, ermahnte er sich mit dem letzten Rest seines Verstandes. Bleib cool.
    Er ging stracks ins Schlafzimmer.
    Das Bett war leer.
    Vielleicht mußte Mary Ann noch arbeiten.
    Vielleicht hatte es technische Probleme gegeben.
    Vielleicht war sie anschließend noch frühstücken gegangen.
    Er setzte sich hin. Dann stand er wieder auf und ging zum obersten Treppenabsatz. Er stand schon fast eine Minute da, als er hörte, wie unten Simons Tür auf- und zuging. Rasch verzog er sich in die Wohnung, setzte sich und massierte seine Schläfen, während das lähmende grüne Gift in seine Hirnwindungen sickerte.
    Jemand kam die Treppe herauf.

Es gibt ein Wort dafür
    Sie versuchte, Haltung zu bewahren – den Kopf hoch und die Schultern gerade, wie Maria Stuart auf dem Weg zum Schafott. Wenn Brian die ganze Nacht gekokst hatte, war es um so wichtiger, daß sie klaren Kopf behielt.
    Sie machte die Tür auf. Er saß im Sessel und sah ihr entgegen.
    »Hallo«, sagte sie und drückte die Tür hinter sich zu.
    Mit seinem Gesicht gingen ein Dutzend Dinge gleichzeitig vor.
    »Ich werd dir nichts vorlügen«, sagte sie.
    »Tu dir bloß keinen Zwang an«, meinte er finster. »Eine mehr oder weniger macht den Kohl nicht fett.«
    »Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht, Brian.« Sie ging an seinem Sessel vorbei zur Küche.
    »Wo gehst du hin?«
    »Uns was zu trinken holen.«
    »Nein! Komm wieder her. Wir reden.«
    »Gut, aber …«
    »Komm her, hab ich gesagt. «
    Sie kam zurück und setzte sich aufs Sofa. »Jetzt ist kein guter Moment. Du warst die ganze Nacht auf. Du bist mit den Nerven runter. Du kannst unmöglich vernünftig …«
    »Sei still, verdammt!«
    Sie faltete die Hände im Schoß.
    »Warst du die Nacht da unten bei ihm?« fragte er.
    »Ja.«
    Er sah sie entsetzt an.
    »Brian … es war … in erster Linie freundschaftlich.«
    »Freundschaftlich?«
    »Ich meine nur … es war nicht der Anfang, sondern das Ende von was.«
    »Ach ja? Wie lange habt ihr zwei denn schon …?«
    »Nein, so hab ich es nicht gemeint. Letzte Nacht war das einzige Mal.«
    »Verflucht noch mal, dieser elende …«
    »Bitte gib nicht Simon die Schuld.«
    »Ach, du hast ihn dazu gezwungen, wie?«
    »Nein, aber … er ist dein Freund.«
    »Ja … und du mein trautes Eheweib. Es gibt ein Wort dafür, nicht?«
    »Ich liebe ihn nicht«, sagte sie und fand sich merkwürdig treulos gegenüber Simon.
    »Du bist bloß ein Flittchen, hm?«
    »Brian …«
    »Na, was käme denn sonst in …«
    »Hör doch auf. Flittchen gibt’s nicht mehr. Ich mag Simon, das ist alles. Ich hab es nicht drauf angelegt, aber … es ist halt passiert. Ein Problem wird es für uns nur, wenn du’s dazu machst.«
    »Schon verstanden«, sagte er. »Ich bin hier das Problem. Ich und meine komische Vorstellung von Ehemännern und -frauen und Flittchen. «
    Er hantierte mit dem Ausdruck, als wäre es ein Schnappmesser, mit dem er sie zu einem Kampf reizen wollte. Sie betrachtete ihn schweigend. Dann stand sie auf und ging zur Schlafzimmertür. »Ich geh mich duschen«, sagte sie. »Wenn du über Flittchen diskutieren willst, schlage ich vor, du redest mit dem Weib in Hillsborough, das so spitz auf dich ist.«
    Als sie seinen Gesichtsausdruck sah, wurde ihr klar, daß sie das nicht hätte sagen sollen. »Vielleicht mach ich das«, sagte er. »Verdammt noch mal, vielleicht mach ich genau das!« Er sprang auf und schnappte sich sein Schlüsselbund vom Couchtisch.
    »Brian …«
    »Stell dich unter deine scheiß Dusche. Ich bin sicher, du hast sie nötig.«
    »Brian, du kannst nicht …«
    »Was kann ich nicht?«
    »Du kannst nicht fahren in diesem Zustand. Sieh dich doch an. Du bist übernächtigt.«
    »Denkst du, ich bleib hier?«
    »Bitte … ruh dich erst ein bißchen aus. Dann mach, was du willst. Aber fahr nicht wieder auf den Freeway in diesem …«
    Aber er war bereits aus der Tür.

Hochzeit
    Es war inzwischen fast dunkel. Michael hatte sich zurückgezogen in den Pavillon auf dem Hügel, der Easley House überragte. Von hier oben konnte er die

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