Stadtluft Macht Frei
besichtigen ist.
Die Kaufmannswiken waren nicht nur Treffpunkte der Händler und Austauschplätze ihrer Waren, nicht nur Knotenpunkte des nordeuropäischen Wirtschaftssystems. Hier lebten, litten, arbeiteten Menschen, auch wenn wir verglichen mit dem Quellenreichtum des Spätmittelalters |43| kaum etwas von den Einzelschicksalen wissen. Es waren dauerhaft bewohnte Siedlungen, bevölkert von ansässigen Kaufleuten, Handwerkern und Gewerbetreibenden. Es gab Wiken, in denen nicht nur Handel getrieben wurde, sondern auch solche, die Münz- und Zollstätte waren – zum Beispiel der Ort Quentowik an der fränkischen Küste des Ärmelkanals, von dem Funde überliefern, dass hier Kaiser Karl der Große Denare prägen ließ.
In der Regel wurden die Wiken durch eine Burg geschützt, die freilich noch nichts mit dem, was man sich für spätere Zeiten des Mittelalters vorstellen muss, zu tun hat. Zumindest versuchte man dadurch, etwas zum Schutz dieser Orte beizutragen, denn wegen ihres Reichtums waren die Kaufmannswiken immer wieder beliebte Objekte für die Wikinger auf ihren Beutezügen, die sie durch halb Europa führten. Nur wenigen Wiken war von daher eine lange Dauer beschieden. Auch Orte wie Quentowik, Dorestadt und Birka, an denen Handel und Verkehr boomten, wurden aufgegeben. Dennoch haben diese Orte das europäische Städteleben zu Beginn des Mittelalters auf entscheidende Weise bestimmt.
Die Marktorte im Binnenland
Es gab aber zu dieser Zeit nicht nur die alten Römerstädte und die Kaufmannswiken, es gab noch eine weitere Erscheinungsform der Stadt: die neuen Marktorte im Binnenland. Im Gegensatz zu den Kaufmannswiken entstanden sie in der Regel nicht „auf der grünen Wiese“, sondern sie lehnten sich an bereits bestehende Siedlungen an. Solche Siedlungen bestanden bei alten Römerstädten, bei Bischofssitzen, bei Klöstern, bei Königspfalzen oder Burgen. Oftmals hat es in der Anfangszeit zwei Zentren gegeben, einen älteren Siedlungskern um diese Komplexe herum und eine neue Marktsiedlung, die nun vor allem unter entscheidender Beteiligung von Händlern, Handwerkern und Gewerbetreibenden aller Art heranwuchs. Vor allem im Gebiet des heutigen Nordfrankreich, in Flandern und am Niederrhein hat es Städte solchen Typs gegeben, eine Region, die demzufolge häufig als |44| „Wiege des europäischen Städtewesens“ bezeichnet worden ist. Nachzuweisen sind solche Städtetypen aber auch östlich davon. Orte wie Bardowick (bei Lüneburg), Magdeburg, Erfurt oder Regensburg können als Beispiele dafür gelten.
Auch Regensburg an der Donau war eine alte Römerstadt; sie geht zurück auf das Lager der III. italischen Legion, gegründet im Jahr 179 n. Chr. Aus mächtigen Quadern waren die Mauern des Lagers errichtet; sie sollten alle Stürme der Völkerwanderungszeit überdauern und sind zum Teil noch heute in der Stadt sichtbar. Die weitgehend intakt gebliebenen Befestigungen waren einer der Gründe dafür, dass der Ort zur Residenz der bayerischen Herzöge wurde. Zwei Könige des ostfränkischen Reiches sind hier bestattet: Arnulf von Bayern († 899) und Ludwig das Kind († 911). Von hier aus regierten der streitsüchtige, immer wieder nach der Herrschaft im ostfränkischen Reich greifende bayerische Herzog Heinrich der Zänker im 10. Jahrhundert und sein gleichnamiger Sohn, der spätere Kaiser Heinrich II. Seit der Merowingerzeit war Regensburg eine aufstrebende Stadt, politisch und wirtschaftlich. Durch den Translationsbericht des hl. Dionysius, der in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts entstanden ist, besitzen wir eine Stadtbeschreibung Regensburgs um das Jahr 1000. Der Verfasser des Berichts unterscheidet drei Teile der Stadt. Erstens: den Bereich des politischen Machtzentrums mit der herzoglichen Pfalz und der Alten Kapelle, dem Frauenstift Niedermünster sowie den umliegenden Bischofshöfen. Zweitens: einen kirchlichen Bereich mit dem Dom als Mittelpunkt, der Taufkirche St. Johannes, dem Bischofshof und den Frauenklöstern Ober- und Mittelmünster. Sowie drittens: einen „Be reich der Kaufleute“
( pagus mercatorum
), die neue Stadt. Sie war westlich an den älteren Stadtkern angefügt, der von der ehemaligen Mauer des alten römischen Lagers begrenzt wurde.
Von Städten wie Regensburg, welche den Markt an bereits bestehende Siedlungen anlehnten, lassen sich solche Städte unterscheiden, die im 9. Jahrhundert ganz bewusst als neue Wirtschaftszentren gegründet worden sind. Das entscheidende Element
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