Stadtluft Macht Frei
den traditionellen, vorwiegend aus der Römerzeit stammenden Städten aus Siedlungen rund um Burgen und Klöster neue Städte entstanden, setzten sich immer mehr
|10| Nach Jahr und Tag bist du frei!
Schon in den lateinischen Rechtsquellen der fränkischen Zeit als annus et dies nachzuweisen, ist der Ausdruck „Jahr und Tag“ in der deutschen Rechtssprache eine der gängigsten Formeln für den Zeitraum eines Jahres. In vielen Fällen ist der Begriff einfach wörtlich aufzufassen, das heißt, der „Tag“ ist als Zugabezahl zum „vollendeten Jahr“ (annus integer) zu deuten. Der Satz wurde aber, je nach Region, im Laufe des Mittelalters oftmals auch als Frist von einem Jahr, sechs Wochen und drei Tagen gedeutet.
Menschen aus den Grundherrschaften in diese Orte ab. Dort waren sie in der Regel unauffindbar. Sie tauchten unter im „Gewühl“ der Stadt – manchmal noch ein eher bescheidenes und recht überschaubares Gewühl, doch es war eines der Tore zur Freiheit. Vielerorts entstand der Rechtsbrauch: Ein Leibeigener kann nach „Jahr und Tag“ nicht mehr von seinem Grundherrn zurückgefordert werden. Er war frei. Ein neues Leben konnte beginnen.
Die Formulierung „Stadtluft macht frei“, die diesem nachweislichen Rechtsbrauch einen prägnanten Ausdruck gibt, stammt freilich nicht aus dem Mittelalter selbst, sondern erst aus der Neuzeit. Hier ist sie zum ersten Mal 1759 in der umgekehrten Formulierung „Luft macht leibeigen“ bezeugt. Sie spiegelt die tatsächliche mittelalterliche Gewohnheit wider, wonach die „Luft“ wirklich etwas Besonderes war: nicht allein das Gasgemisch der Erdatmosphäre, das, wie bekannt, überwiegend aus Stickstoff und Sauerstoff besteht und im ursprünglichen Zustand geruchs- und geschmacklos ist, sondern ein Element der Rechtsgeschichte. Die „Luft“ bestimmte den rechtlichen Status einer Person. Die Freiheit der Stadt war jedoch nicht grenzenlos. Die mittelalterliche Freiheit war – kaum anders als die heutige – mit einer Reihe von Verpflichtungen verbunden: einem Grundzins, einer Anerkennungsgebühr für die freie Erbleihe sowie einer Aufnahmegebühr. Verließ der Zugezogene das Rechtsgebiet der Stadt, war es in der Regel |11| nicht möglich, sich einfach „auf und davon“ zu machen. Im Gegenteil, es musste ein Abzugsgeld an die Stadt entrichtet werden. So leicht verzichtete man auf Neubürger in den Städten nicht. Niemand sollte glauben, hier einfach so wieder gehen zu dürfen.
Stadtluft war nicht gleich Stadtluft
Stadtluft war nicht gleich Stadtluft. Nicht jede Luft innerhalb der Mauern einer städtischen Siedlung machte „frei“. Es gab Städte, denen vom Stadtherrn die Aufnahme von Unfreien verboten wurde oder in denen die Leibeigenen bestimmter Herrschaften oder Klöster vom Erwerb der Bürgerrechte ausgeschlossen waren. Setzten diese sich dennoch in die betreffenden Städte ab, so erwarb der Stadtherr die Rechte des früheren Grundherrn an den Dienstleistungen des Zugezogenen. Dieser geriet somit nur von einer Unfreiheit in die andere. Rechtlich gesehen, änderte sich für ihn gar nichts. Dennoch wagten viele diesen Schritt. Die Verlockungen des Neuanfangs erschienen größer als alle Risiken. Die Stadt lockte. Sie zog an.
Stadtluft stank auch –
und konnte gefährlich sein
Stadtluft machte also frei. Doch es ist ein Irrtum anzunehmen, dass sich die befreiende Wirkung der Stadt, ihre ungeheure Attraktivität, nur auf den rechtsgeschichtlichen Aspekt bezog. Die Stadt des Mittelalters war ein Ort von großer Anziehungskraft, die alles überwand, was als Lebensraum gegen sie sprechen mochte. Das scheint zunächst nicht wenig zu sein. Nichts gibt es, erzählt man von der Stadt des Mittelalters, zu beschönigen. Ein magischer Ort sieht anders aus. Die Häuser waren meist aus Holz, ihre Ritzen primitiv verklebt mit Lehm und Reisig. Häuser ganz aus Stein waren lange noch die Ausnahme. Nur wenige Familien, zumeist reiche Patrizier, konnten sich diesen Luxus leisten – dass sie im Gewirr der Behausungen aus Holz und Lehm auffielen, verrät die Bezeichnung „Steinhaus“ noch heute. Erst |13| zum Spätmittelalter hin setzen sich zumindest in einigen Teilen Deutschlands, so vor allem im Norden, Steinbauten in größerem Maße durch. Die wenigsten Dächer waren anfangs schon mit Ziegeln bedeckt; Stroh oder Schindeln waren die Regel. Nur den Kirchenbauten war zunächst der Ziegel vorbehalten.
Tödliche Gefahr – Feuer in der Stadt
Entstand in einer Stadt ein
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